Wie sehen die „Arbeitswelten der Zukunft“ aus?

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Das neue Wissenschaftsjahr will die Folgen der Digitalisierung für den Menschen vor Augen führen

(cooppaManfred Ronzheimer, 26.03.2018) Digitalisierung und die vernetzte Industrie 4.0 schaffen neue Arbeitswelten. Welche Auswirkungen das für den Menschen hat, will das neue Wissenschaftsjahr des deutschen Bundesministeriums für Bildung und Forschung thematisieren und in der Gesellschaft breit diskutieren. Der Start stellte jedoch die Verheißungen der Automatisierung und Robotik einseitig in den Vordergrund und gab der kritischen Technikfolgenabschätzung zu wenig Raum.

Ihre persönliche Arbeitszukunft hatte sich Johanna Wanka anders vorgestellt. Die Eröffnung des Wissenschaftsjahres „Arbeitswelten der Zukunft“ sollte jedenfalls schon in neuen Händen liegen. Weil aber fünf Monate nach der Wahl die neue Bundesregierung immer noch nicht im Amt war, musste Mitte Februar die geschäftsführende Ministerin für Bildung und Forschung nochmal ran, um den Startschuss zu geben. Aber schon bald, freute sich die 66 Jahre alte CDU-Politikerin, werde sie „bei Gartenarbeit viel Zeit an frischer Luft verbringen“ und mit den beiden Enkelkindern spielen.

Massive Änderungen der Berufs- und Lernwelt

Für diejenigen, die weiter im Job bleiben, dürfte es weniger geruhsam zugehen. Insbesondere in der Zukunft, weil sich durch Digitalisierung und Globalisierung massive Veränderungen der Berufs- und Lernwelt abzeichnen und teilweise schon eingestellt haben. Das neue Wissenschaftsjahr, das dem Ozean-Jahr nachfolgt, will in den kommenden Monaten den Wandel der Arbeitswelt, die Ergebnisse der Arbeitsforschung und die Herausforderungen für die Bildung in den Mittelpunkt stellen. Neben Events in den Hochschulen wird auch ein Forschungsschiff über die deutschen Flüsse schippern und ein „Innovations-Truck“ die Märktplätze ansteuern. Rund 5,8 Millionen Euro lässt sich das BMBF die Aktion kosten. Die Ansichten über den Nutzen sind geteilt.

Immerhin wurde aus BMBF in einer konzertierten Aktion die arbeitsbezogene Forschung neu belebt, wie es dies in Deutschland seit dem legendären Programm „Humanisierung der Arbeit“ in den 1970er-Jahren nicht mehr gegeben hatte. Annelie Buntenbach vom Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) würdigte das mit einer Milliarde Euro ausgestattete Arbeitsforschungs-Programm, aus dem bereits 220 FuE-Projekte gestartet worden seien. „Wir brauchen dieses Wissen, weil sich durch die Digitalisierung die Arbeit stark verändern wird“, sagte die Gewerkschafterin bei der Eröffnungsveranstaltung. Der Nutzen für Innovationen in der Arbeitswelt erschließt sich auch im Rückblick: So konnte seit 1990 durch Maßnahmen des Arbeitsschutzes die Zahl der Unfälle am Arbeitsplatz halbiert werden. Einen inhaltlichen Ausblick hatte bereits im Januar der Staatsssekretär im BMBF, Geord Schütte, gegeben.

Für Henning Kagermann, Präsident von acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften, sind drei Handlungsfelder für den Erfolg der Digitalisierung entscheidend: Agilität, lebenslanges Lernen und eine zukunftsorientierte betriebliche Mitbestimmung. „Wir sollten den Menschen dabei mehr zutrauen und sie als mündige Arbeitskräfte in die Gestaltung ihrer Arbeitswelt einbeziehen“, erklärte der frühere Chef des Softwarekonzerns SAP.

Heiße Themen blieben ausgeblendet

Die Auftakt-Debatte über die künftigen Arbeitswelten gestaltete sich im Haus des Forschungsministeriums dann doch sehr techniklastig. Vielleicht wäre es besser gewesen, das Bundesarbeitsminsiterium zu beteiligen, das im vorigen Jahr mit seinem breiten Diskurs „Arbeit 4.0“ das Feld schon bestellt hatte. Forschungsministerin Wanka betonte zwar, dass beim Rahmentitel bewußt der Plural „Arbeitswelten“ gewählt worden sei, um die unterschiedlichen Optionen der Gestaltung zum Ausdruck zu bringen. Es gebe mehrere Varianten, wie die Tätigkeit von Menschen und Maschinen in den Fabriken und Büros von morgen ausgeführt werden können. Erkennbaren Chancen stünden auch noch ungewisse Risiken zur Seite, die es allerdings auch anzusprechen gelte, erklärte die Ministerin. Man wolle nicht den Fehler wiederholen, den man bei der Debatte über die Globalisierung begangen habe. „Bei der Globalisierung haben wir zu einseitig nur über die Chancen gesprochen und zu wenig über die Risiken, die es auch gibt“. Dennoch war es erst einem Fragesteller in der Schlußrunde vorbehalten, zu eruieren, warum nicht auch das Burnout-Problem durch zu hohe Arbeitsverdichtung behandelt worden sei. Andere heiße Themen der aktuellen Arbeitsdiskussion, wie die Expansion der prekären Berufe oder das bedingungslose Grundeinkommen, kamen überhaupt nicht zur Sprache.

Folgen der neuen Medientechniken werden zu wenig untersucht

Einen kritischeren Ansatz zur Eröffnung des Wissenschaftsjahres versuchte im Anschluss zumindest das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB), das die Auswirkung der digitalen Medien für Bildung und Berufsvorbereitung mit einem Expertenpanel diskutierte. Den Befürwortern einer forcierten Digiltalbildung im Schulbereich stand die Mediensucht-Expertin Paula Bleckmann von der Alanus-Hochschule in Berlin gegenüber. Sie bemängelte, dass die derzeitige Digitalisierung des Bildungswesen zu sehr von der IT-Lobby getrieben und warnende Einschätzung von erziehungswissenschaftlicher Seite zu wenig gehört würden. Es gebe immer mehr Indizien dafür, dass eine exzessive Handy-Nutzung von Jugendlichen den schulischen Erfolg vermindere.

Davon betroffen seien vor allem die Schüler aus den unteren Einkommensschichten. „Ein Smartphone-Verbot an Schulen wäre die billigste Maßnahme zum Schließen der Bildungsschere“, meinte Bleckmann, die auch einer Expertengruppe des Bundesgesundheitsministeriums angehört, die sich mit Social Media-Sucht unter Jugendlichen beschäftigt. Hier gebe es eindeutig einen Mangel an Technikfolgenabschätzung über die psychologischen und sozalen Auswirkungen der neuen Kommmunikationstechniken. Auch der jüngste Bericht des Bundestags-Büros für Technikfolgenabschätzung (TAB) zur digitalen Bildung „krankt daran, dass darin nur Digitalexperten zu Wort kommen“, bemängelte Bleckmann, während die medizinisch-psychologsichen Folgen ausgespart blieben.

Sind Wissenschaftsjahre noch zeitgemäß?

Nicht ausszuschließen, dass in diesem Jahr die gesamte Kommunikationsstruktur der Wissenschaftsjahre auf den Prüfstand kommt. Zum Eröffnungstag meldete sich aus der TU Dortmund der Professor für Wissenschaftsjournalismus Holger Wormer mit einem kritischen Interview im Deutschlandfunk zu Wort. Es sei grundsätzlich zu überlegen, ob das Format der Wissenschaftsjahre, die in ihrer Ansprache ohnnehin die schon von Wissenschaft überzeugten Bürger erreiche, „in dieser Form noch zeitgemäß ist“. Der Marketinganteil sei zu dominant, sogar die Wirkungsuntersuchung der Wissenschaftsjahre werde von einer Beratungsagentur vorgenommen. Wormer: „Die Zieldefinition der Wissenschaftsjahre ist bis heute, aus meiner Sicht, sehr unklar.“ Für das kommende Wissenschaftsjahr empfiehlt der Professor, der auch der Akademien-Arbeitsgruppe „Wissenschaft, Öffentlichkeit, Medien“ (WÖM) angehört, „es tendenziell 2019 ausfallen lassen und wirklich noch mal grundsätzlich überlegen, wie man diese Mittel vielleicht noch effizienter einsetzen kann“.

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