Regime Orban: Wie die Gemeinwohl-Ökonomie die Demokratie Ungarns stärken kann

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Jahrelang arbeitet Péter Rózsás Seite an Seite mit Ungarns Ministerpräsidenten Viktor Orban. Später wendet er sich von seiner lebensfeindlichen Politik ab und gründet die erste Regionalgruppe der Gemeinwohl-Ökonomie in Ungarn. In seinem Buch „Sein, Zeit, Geld“ beschreibt er, wie das Gemeinwohl die Demokratie in Ungarn retten kann.

Ungarn ist kaputt. Das sagt Péter Rózsás und der muss es wissen. Jahrelang arbeitet er als Berater und Generaldirektor der Technischen Universität Seite an Seite mit Ministerpräsident Viktor Orban. Ihm hat er großen Aufstieg und tiefen Fall zu verdanken. Heute hat sich Péter Rózsás von der Politik Orbans abgewandt. Er schreibt ein Buch und erklärt darin die Gemeinwohl-Ökonomie zur Hoffnungsträgerin eines guten Lebens in Ungarn. „Orban will ein starkes Ungarn. Mit der Gemeinwohl-Ökonomie wollte ich zeigen: Ungarn ist dann stark, wenn das Leben darin gut ist.“

Die Menschen in Ungarn könnten sich nicht vorstellen, wie das politische System anders aussehen kann. Er sagt: „Ich wollte ihnen gute Beispiele zeigen.“

Eine Hand wäscht die andere: An der Seite Orbans

Als Péter Rózsás 34 Jahre alt ist, wird er Generaldirektor der Technischen Universität in Budapest. Das war 2001 und keine zufällige Besetzung. Der studierte Ökonom arbeitet zu dem Zeitpunkt im Finanzamt und ist enger Finanzberater des damaligen Ministerpräsidenten: Viktor Orban.

Schon während dessen erster Amtszeit ist das Land tief gespalten: Zwischen Orbans rechtspopulistischer Partei Fidesz und der sozialistischen Opposition. Vetternwirtschaft und persönliche Versprechen hinter verschlossenen Parlamentstüren standen damals wie heute an der Tagesordnung.

Als wir mit ihm sprechen sitzt er in einem schlicht eingerichteten Raum. Im Bildausschnitt ist wenig zu erkennen außer das Bett, auf dem er sitzt. Am Boden neben ihm liegt sein Hund, der immer wieder um seine Aufmerksamkeit bellt. Über die Zusammenarbeit mit dem ungarischen Ministerpräsidenten sagt er: „Orban sieht die Wirtschaft im Land als sein Geschäft. Er arbeitet mit denen zusammen, die ihm und seinen Freunden Vorteile bringen. Nur Wenige mit denselben politischen Interessen profitieren davon.“ Ein System zum Machterhalt Orbans.

Zunächst misslingt ihm der Machterhalt. 2002 wird Orban als Ministerpräsident abgewählt – aber sein politisches Netzwerk spinnt er in Hintergrund weiter. Die politische Stimmung im Land ist weiter angespannt und auch Péter Rózsás bekommt den kalten Händeschlag der Politik zu spüren. 2009 entlässt die sozialistisch gefärbte Universität Rozsas aus seinem Amt als Generaldirektor. Es findet sich ein Nachfolger, der sich den politischen Vorgaben seiner Zeit leichter beugt.

Vom Generaldirektor unter Orban zum politischen Gegner

Als Orban 2010 wieder an die Macht kommt, sollte es auch für Péter Rózsás beruflich wieder bergauf gehen. Er wird Generaldirektor der Wirtschaftsuniversität in Budapest, die zu dem Zeitpunkt fest im Griff des Kabinett Orbans steckt. Mehr und mehr Korruptionsfälle wecken in Rozsas zunehmend Zweifel am herrschenden Regime und an der Politik Orbans. Seine Zweifel sind schließlich Anlass für seine Entlassung 2013. Rozsas findet keinen Job mehr, bis er 2015 beschließt, ein Buch zu schreiben.

„Mir wurde damals gesagt, ich würde keinen Job mehr finden. Mir blieb keine andere Wahl, als mir selbstständig etwas aufzubauen“, erzählt er. Sein Buch „Lét, idő, pénz“ (Sein, Zeit, Geld) erscheint 2021. Darin äußert er sich kritisch gegenüber der Politik Orbans und besorgt über die Zukunft Ungarns. Er ruft zu einer alternativen Wirtschaft auf: Fernab von Profiten und Machterhalt. Er sagt, Ungarn brauche eine Wirtschaft, die auf das Gemeinwohl aus ist und so die Demokratie von innen stärkt.

Peter Rozsas
Péter Rózsás

Ungarns erste Regionalgruppe für Gemeinwohl-Ökonomie

„Ich habe oft gehört, du sollst dich mit Dingen befassen, die dich wirklich interessieren und die dich erfüllen“, resümiert Rozsas. „Als Wirtschaftsleiter stellte ich mir lange Zeit die Frage: Welche Dinge sind das? Und warum lassen sich die einfachsten Fragen eines guten Lebens, in Ungarn nicht beantworten?“ Der Autor wollte wissen: Warum ist Ungarn nicht entwicklungsfähig? Welche Rolle spielen die Machthaber und wie formt die Politik menschliche Beziehungen in der Bevölkerung – und umgekehrt?

Antworten findet er in der Gemeinwohl-Ökonomie. Das Konzept stammt aus Österreich und findet mittlerweile internationalen Zuspruch. Die Idee dahinter scheint simpel: Menschen vor Profite. Drei kleine Worte, die ordentlich an unserem neoliberalen Verständnis eines guten Lebens kratzen. Ein gutes Leben für wen? Und für wie viele?

2022 gründet Péter Rózsás die erste Regionalgruppe der Gemeinwohl-Ökonomie in Ungarn, die 174. auf der Welt. Kein Spaziergang, erinnert er sich: „Es fanden sich anfangs keine zehn Personen, die mutig genug waren, sich einer so oppositionellen Vereinigung wie der Gemeinwohl-Ökonomie anzuschließen.“ Inspiriert hat ihn dazu ein Besuch in Österreich, viele Jahre vor seiner Beratertätigkeit unter Orban. Er erzählt: „Als ich 1989 das erste Mal über die Grenze zu Österreich gefahren bin, habe ich andere Luft geatmet. Die Luft der Freiheit.“ Hier könne man sich Alternativen gut vorstellen, erzählt er.

Gemeinwohl zur Stärkung der Demokratie

Christian Felber, einer der Gründer der Gemeinwohl-Ökonomie hat einmal gesagt: In einer Demokratie ist nichts alternativlos. Und auch Peter sieht die Gemeinwohl-Ökonomie als Weg aus der Ohnmacht, als Postulat der Freiheit und als Demokratisierung Ungarns mit dem einfachen Ziel: Das Leben soll hier in Zukunft besser werden. „Wir wollen leben. Dafür brauchen wir Ziele, die menschlich sind. Diese Ziele führen dann zum Gemeinwohl. Die Antwort ist eigentlich ziemlich einfach.“

Auch in Österreich wird täglich gegen Kapitalismus und Korruption gekämpft, aber: Die Menschen mobilisieren und vernetzen sich, erzählt Roszas. Die Menschen sind zuversichtlich, dass sich die Gesellschaft auch anders organisieren lässt als hierarchisch und auf die Vorteile Weniger besinnt. „Menschen in Ungarn und Osteuropa leben in autoritären Systemen. Sie könnten sich kein anderes System vorstellen. Ich wollte ihnen ein anderes Bild zeichnen. Ein anderes Bild als das Orbans.“

Beitrag von Olivia Leth, 10. Januar 2023

Mehr Infos:
Webseite der Gemeinwohl-Ökonomie: https://austria.ecogood.org/
Ungarischer Verein für Gemeinwohl und öffentliches Vertrauen: https://kozjoert.hu/
Rózsás Péter András – Sein, Zeit, Geld (ungarische Ausgabe) – https://undergroundbolt.hu/termek/let-ido-penz-elorendelheto/

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