E-Auto über alles?
(cooppa, 06.12.2017)
Ein Streiflicht von Friedrich Schmidt-Bleek
Wenn man von trumpschen Verwerfungen einmal absieht, scheint der Durchbruch zur ökologischen Zukunft in greifbarer Nähe! Die 120 Jahre alte Sorge um den Klimawandel (Arrhenius 1896) hat sich durchgesetzt. Das Pariser 2-Grad-Ziel ist zum Maß für ökologische Verantwortung geworden, geringe CO2-Intensität zum Beweis der ökologischen Überlegenheit aller Dinge.
Folgerichtig fokussiert sich der grün-politische Diskurs Berlins jetzt auf den Auspuff der 45 Millionen Automobile in Deutschland. Dieser wurde als entscheidende Quelle für unsere ökologische Gefährdung verortet. Das hat natürlich auch etwas mit der Wut darüber zu tun, dass die großen Autobauer am Auspuff ihrer Produkte schamlos betrogen haben, und Herr Dobrindt (ehem. Bundesverkehrsminister) versäumte, dieser Sache ordentlich nachzugehen. Über 10 Kg Kilogramm CO2 schleudert der Benziner auf 100 Km in die Luft! Der Diesel zwar deutlich weniger, aber dafür wurde er statistisch als Quelle innerstädtischer Gesundheitsprobleme überführt. Der Verbrennungsmotor wurde deshalb von der Partei, die in Deutschlands Parlament nach eigenen Angaben das Wohl der Umwelt vertritt, zum Tode verurteilt. Vielleicht auch, weil Frau Göring-Eckardt (Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag) die Oxidation von Wasserstoff nicht als Verbrennung versteht.
Es darf keinen Zweifel geben: Die Zukunft gehört dem E-Auto, weil es keinen Auspuff hat. Und außerdem verringert es den innerstädtischen Lärm. Ja, auch seine Beschleunigung ist phänomenal, was den Mann in Deutschland freut. Folgerichtig muss dieses Auto wirksam vermarktet, also subventioniert werden, so etwa in Höhe zweier Monatsgehälter einer Krankenschwester. Auch die landesweite Stromversorgung der E-Autos muss noch gebaut werden. Man hört, dafür stünden 20 Milliarden Euro ins Haus.
Physikern wird Systemdenken beigebracht. Wenn also die Physiker- und Bundeskanzlerin eine Million dieser auspufflosen Ökowunder für die kommenden Jahre fordert, also eine Versechzigfachung der gegenwärtigen Anzahl, dann dürfte dies wohl systemisch durchdacht und aus demokratischer Sicht sinnvoll sein. Um den Eindruck zu entkräften, diese Zeilen stammten aus einer Trumpinspirierten Fake-News-Meldung, oder einem Koalitionsvertrag, sollen einige weitere Gedanken rund um die Umwelt und ums Auto der Zukunft hinzugefügt werden, auch wenn sie bei einigen Leserinnen und Lesern Kopfschütteln verursachen sollten.
Für eine verlässliche Umweltpolitik sollte man an erster Stelle so etwas wie einen überall gültigen Zollstock vereinbaren der geeignet ist, die ökologische Qualität von Gütern, Prozessen, Systemen, Dienstleistungen und Handlungsweisen einzuschätzen und zu vergleichen. So wie wir das von Geldpreisen auf dem Markt gewohnt sind. Und auf ähnlich mutig kompromissbereite Weise, wie vor 100 Jahren um die Einführung von GNP (Bruttonationalprodukt) als Zollstock für die Stabilität der Wirtschaft gerungen wurde.
Heute übliche Kennzeichnungen für die Umweltqualität von Dingen, umweltrelevante Vorschriften für die Eigenschaft von Dingen, wie auch für ihre Produktion, Nutzung, und Entsorgung haben sich seit den frühen 70-er Jahren des vorigen Jahrhunderts vertausendfacht. Natürlich gibt es dafür gute Gründe. Wenn aber die Komplexität der Beurteilung von Gut und Böse ins Unermessliche steigt, wird sie beliebig und nutzlos. Vorsorgender Umweltschutz ist unter diesen Verhältnissen nicht möglich. Eine Annäherung an nachhaltige Bedingungen deshalb so gut wie ausgeschlossen.
Der berechtigten Sorge um den Klimawandel geschuldet hat sich die CO2-Intensität in den letzten Jahrzehnten zum bevorzugten Umweltqualitätsnachweis entwickelt. Der Klimawandel wird jedoch weder ausschließlich von CO2-Emissionen vorangetrieben (CH4, FCKW und N2O sind auch klimaaktiv), noch ist die CO2-Intensität eine sinnvolle Beurteilungsgrundlage für die Gefahr anderer Fehlentwicklungen wie etwa die Generation von Atomstrom, der Plastikmüllansammlung im pazifischen Ozean, der fortschreitenden Ausrottung von Tier- und Pflanzenarten, der Überfischung der Ozeane, des Trinkwassermangels in Afrika, USA und Andalusien, oder der wachsenden Versiegelung von Flächen für Wohnen, Produktionsanlagen und Autobahnen. Sie alle haben mit dem Auspuff von Autos wenig zu tun.
Hingegen sagen einige Forscher seit Jahren, die lebenszyklusweite Vernutzung natürlicher Ressourcen (Material, Wasser, Fläche) für die Erzeugung von technischen Leistungen – einschließlich der Stromproduktion – könne als ein „Grundmaß“ für ihre Umweltverträglichkeit dienen, weil jeder technische Eingriff in die Ökosphäre, jede Entnahme, Verbringung und Denaturierung natürlicher Ressourcen die für Leben überlebenswichtigen Funktionen und Dienstleistungen der Ökosphäre verändert. Und weil Technik nicht in der Lage ist, kaputt gewirtschaftete Funktionen der Ökosphäre zu ersetzen.
In Fällen, wo bekannt „umweltgiftige“ Chemikalien auftreten, sollte dieses Wissen berücksichtigt werden. Bei weit über 100.000 chemisch verschiedenen Emissionen aus einer modernen Wirtschaft sind und bleiben allerdings die Kenntnisse hierüber sehr begrenzt. CO2 ist eine Ausnahme. Aber alles weiß man auch hier noch lange nicht.
Der durchschnittliche ökologische Rucksack traditioneller Technik liegt bei 30/1. Das bedeutet, dass 30 Mal mehr natürliches Material (Masse) vernutzt wird, als sich im Endprodukt wiederfindet. Die Rucksäcke digitaler Technik wiegen noch um 10 Mal schwerer, was Fragen nach den ökologischen Konsequenzen der Digitalisierung aufwirft. Fachleute vermuten, die Materialintensität der deutschen Wirtschaft müsse (ohne Qualitätsverlust) um etwa den Faktor 10 abgesenkt werden, bevor ökologische Stabilität erreicht werden kann. 2015 stellten die G7 Staaten in Elmau fest: „Der Schutz und die effiziente Nutzung natürlicher Ressourcen sind für die nachhaltige Entwicklung von entscheidender Bedeutung. Wir streben eine Verbesserung der Ressourceneffizienz an, die wir für die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie, für Wirtschaftswachstum und Beschäftigung sowie für den Schutz der Umwelt, des Klimas und des Planeten für entscheidend halten“. Der Weg dorthin dürfte schwierig werden, solange der Zugriff auf natürliche Ressourcen als öffentliches Gut zum Nulltarif zulässig ist. Kaum jemand spart an Billigem.
Kehren wir zum E-Auto zurück. Untersuchungsergebnisse zeigen: Für einen Kleinwagen „bezahlt“ die Natur heute im Schnitt – von der Wiege bis zu seinem Betriebsende gerechnet – etwa 45 Kilogramm Material pro 100 Km, für einen Mittelklassewagen etwa 85 Kg, und für ein vergleichbares E-Mobil etwa 120 Kg/100 Km! In diesen Zahlen stecken auch die zum Betrieb benötigten Infrastrukturen. Demnach wird die Natur für die Einsparung von ca. 10 Kilogramm CO2 mittels E-Mobilität mit einer „Sonderabgabe“ von etwa 40 Kg belastet. Forscher haben auch errechnet, das heutige E-Auto müsse über 100.000 km gefahren werden, ehe seine CO2 Gesamt-Emission die des Benziners unterbietet. Denn noch immer ist der aktuelle Strommix – auch der für die Fahrzeugherstellung – sehr „CO2-intensiv“ (Verstromung von Öl und Kohle), was sich allerdings durch die Zunahme von Windkraft und anderen dematerialisierten Produktionsmethoden für Strom zugunsten des E-Fahrzeuges verbessert.
Die Regierung wertet das E-Auto offenbar als ökologisch beste PKW-Mobilitätslösung. Sie ist dabei auch beeinflusst von der starken E-mobilen Konkurrenz aus anderen Ländern, insbesondere aus China und den USA. Abweichende Vorstellungen für die Zukunft des PKW sind zur Zeit wohl nicht gefragt. Dennoch sei an dieser Stelle eine andere Vision zur nachhaltigen Mobilität aufgezeigt.
Für alle modernen Lebensbereiche gilt: Die Erbringung von Nutzen – die Verfügbarmachung von Dienstleitung – ist ohne Nutzung von Technik nicht möglich. Schon Aristoteles bemerkte: Wahrer Reichtum ist der Nutzen der Dinge, nicht ihr Besitz. Zur Erhaltung der ökologischen Stabilität muss der Nutzen von Technik so ressourcenschlank, giftfrei („lean and clean“), langlebig und bedarfsangepasst wie möglich gestaltet werden. Mobilität ist die Nutzung von Technik zur Überwindung von Distanz – d.h. sie ist die „Ent-Fernung“ geographischer Ziele für Menschen. Real finden heute mehr als 80% der PKW-Fahrten in Innenstädten bei unter 30 Km/h im Schnitt mit etwa 1,3 Personen statt. Künftig sind für den privaten Bedarf (vorwiegend erdgebundene) Kleinfahrzeuge mit weniger als 700 Kg Gewicht und rund 100 Km Höchstgeschwindigkeit die Norm. Die Fahrzeuge der Zukunft werden für 1 Million Km Fahrleistung ausgelegt.
Diese Entwicklung dient nicht nur der Dematerialisierung der Mobilität, sondern auch der Reduzierung der Emissionen (CO2, N0x, Feinstaub, Reifenabrieb, etc.). Sie dient weiterhin der Verbesserung der Fußgängerfreundlichkeit und Sicherheit, sowie der Reduzierung von Staus, Parkplatzsuche, und der Straßenerhaltungskosten. Der Antrieb des Personenkraftfahrzeuges ist so „lean and clean“ wie möglich. Im Bewusstsein, dass es für den Schutz der Umwelt ein zu spät gibt, legt der Staat Ziele, Grenzwerte, Messlatten, und die notwendigen Rahmenbedingungen fest. Er alleine ist für ihre Einhaltung verantwortlich.
Es obliegt der Industrie und dem Wettbewerb auf dem Markt, die besten Lösungen zu schaffen und weiter zu entwickeln.
Prof. Dr. F. Schmidt-Bleek lebt in Berlin und engagiert sich seit mehr als drei Jahrzehnten für einen nachhaltigeren Umgang mit Umweltressourcen.
Weiterführend: Kurzportrait auf unserer Partnerseite N21
Fotos: Bert Beyers, BMW i3: M 93 (CC BY-SA 3.0 de)
„Die 120 Jahre alte Sorge um den Klimawandel (Arrhenius 1896) hat sich durchgesetzt.“ Worin gneau bestand die Sorge des Arrhenius?
Folgende Situation:
Jemand steht im Winter in sternenklarer Nacht unbekleidet und unbewegt bei Windstille und -10°C allein mitten auf einer großen z.B. betonierten Fläche (ev. auf einer isolierenden Unterlage, um nicht über die Fußsohlen zu entwärmen):
Wird ihm/ihr mit der Zeit kälter oder wärmer?
Pingback: „Ich glaub' es geht“ – Nachruf auf Friedrich „Bio“ Schmidt-Bleek - cooppa