Des Clowns neue Kleider

Beitrag teilen

Gastbeitrag von Hubertus Zorell

DES KAISERS NEUE KLEIDER ist eine mythologisch tief verwurzelte Geschichte, die von Hans Christian Andersen aufgegriffen und unter diesem Titel neu erzählt wurde.
Es geht um die Kunst der TÄUSCHUNG und darum, welche Rolle die SELBSTTÄUSCHUNG darin spielt.
Wie schaffen es Menschen, andere Menschen dazu zu bringen, ihnen Dinge ZU GLAUBEN und ABZUKAUFEN, die keine Substanz haben?

Gut, man könnte sagen: Menschen sind halt BLÖD. Das hat sicher etwas für sich, ist aber nur EINE Seite der Medaille. Bei der anderen geht’s im Gegenteil um intellektuelle und psychologische RAFFINESSE. Die Schneider, welche dem Kaiser Gewänder verkaufen, die man nicht sieht, sind ALLES ANDERE als blöd. Sie KÖNNEN wirklich etwas. Sie sind PROFIS. Zwar nicht als Schneider, aber als VERKÄUFER. Als SELBSTVERMARKTER. KOMMUNIKATIONS-PROFIS.

Zuerst bearbeiten sie angesehene und wichtige Persönlichkeiten im Umfeld des Kaisers. Diese werden vor die Alternative gestellt, ENTWEDER die Qualität der Arbeit unserer Künstler-Schneider zu erkennen und zu bekunden, ODER ihr Ansehen und ihr Gewicht aufs Spiel zu setzen. Dabei baut sich so viel Druck auf, dass am Ende niemand mehr wagt, DER EIGENEN WAHRNEHMUNG ZU TRAUEN – auch der Kaiser selber nicht.

Wir kennen den Mechanismus. Gerade auch im Kunst- und Kulturbereich ist er NICHT gar so SELTEN. Dass die Professionalität der SELBSTDARSTELLUNG ÜBERZEUGENDER ist als die der KUNST, kommt durchaus vor. Und wir alle erliegen manchmal der Eloquenz von Kunstschaffenden oder ihrer Vermittler, ohne die angepriesenen Qualitäten in ihrem Werk wiederzufinden. WIR ALLE SIND gelegentlich KAISER.

In der Clownerie ist die Sache etwas schwieriger. Es gibt da ein eingebautes KORREKTIV, um welches man sich auf die Dauer nicht herumdrücken kann: DAS LACHEN DES PUBLIKUMS. Zwar ist das Lachen natürlich nicht DAS EINZIGE, was zählt. Das Publikum darf auch gerührt sein, betroffen, verstört. Es darf weinen. Sogar denken. Aber im Kern dreht sich die Clownerie halt doch um die LÄCHERLICHKEIT der menschlichen Existenz. Da wird es am Ende OHNE LACHEN NICHT GEHEN.

Es kann sich jemand als Kommunikations-Profi noch so GESCHICKT ANSTELLEN, noch so gut VERNETZT sein, sich noch so abfällig über ANDERE Clowns äußern, zu noch so vielen Workshops um den GLOBUS jetten, noch so kenntnisreich DAHER REDEN, ganze BÜCHER über die Clownerie schreiben… wenn er kein PUBLIKUM findet, das über ihn LACHT, ist er bestenfalls ein guter Verkäufer, ABER HALT KEIN CLOWN.

Ist ja im Übrigen nicht so schlimm. Gute Verkäufer werden IMMER gebraucht. Der Kaiser hat MEHR Bedarf an neuen Kleidern DENN JE.

Dieser Beitrag wurde ursprünglich als Teil des Newsletter (bzw. in Eigenschreibweise „Njuußlätters“) des „Theater Olé – Wiens erstbestem Clowntheater“ verschickt. Mit ausdrücklicher Erlaubnis des Verfassers, Co-Direktor und Clown Hubertus Zorell, wollen wir diesen Text hier auch mit unseren cooppa-Lesern teilen.
FOTO: © Agnes Zorell / Theater Olé (Autor ganz rechts im Bild)

Links:

Ein Gedanke zu „Des Clowns neue Kleider

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert