Darmstadt will den Wandel

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Zum dritten Mal finden die „Tage der Transformation“ statt, diesmal virtuell

(cooppa, 17.03.2021, Manfred Ronzheimer) Im hessischen Darmstadt finden vom 15. bis 19. März die „Tage der Transformation“ statt, und zwar schon zu dritten Mal. In der bundesweit einmaligen Veranstaltungsreihe – diesmal mit elf Events – tauschen sich Wissenschaft und Wirtschaft, Kommunalpolitik und Stadtgesellschaft darüber aus, wie die Umsteuerungs-Wenden der „Großen Transformation“ in Richtung Nachhaltigkeit konkret vorankommen und wo neue hinzu kommen müssten. Alle Termine finden coronabedingt nur online statt. Das Programm gibt es hier.

Fragen, die die Veranstalter beantworten wollen, sind unter anderem diese: Wie gestalten sich gesellschaftliche Transformationsprozesse in Richtung einer nachhaltigen Zukunft? Welche Visionen einer Zukunft brauchen wir, die sich Fragen der Lebensqualität, des Umweltschutzes sowie der Verbesserung sozialer oder wirtschaftlicher Aspekte verschreiben? Veranstalter sind die Schader-Stiftung und die Hochschule Darmstadt gemeinsam mit dem ISOE-Institut für sozial-ökologische Forschung, dem Fraunhofer-Institut für System-und Innovationsforschung, sowie weiteren Partnern aus Gewerkschaften und Wissenschaft.

(c) Tage der Transformation

Den Anfang macht die Tagung „Transformation fair gestalten – gewerkschaftliche Perspektiven“. Gemeinsam mit der IG Metall Darmstadt und dem Deutschen Gewerkschaftsbund soll diskutiert werden, welche Folgen transformative Entwicklungen für Beschäftigte, Betriebe und Gesellschaft haben können und wie darauf positiv Einfluss genommen werden kann.

Am 18. März findet die Jahrestagung des Projekts Systeminnovation für Nachhaltige Entwicklung (s:ne) statt. Thema des Symposiums ist „Vom Experiment zum Mainstream“. Transformative Forschung (tF) zielt darauf ab, in einem gemeinsamen Prozess zwischen Wissenschaftler*innen und Praxisakteur*innen technische, soziale, und organisationale Lösungen für aktuelle Probleme zu entwickeln. Das diesjährige tf-Symposium widmet sich dabei folgender Kernfrage: Wie lassen sich Experimentierräume mit Akteuren so aufbauen, dass es gelingt, Entwicklungsprozesse in Richtung einer Nachhaltigen Entwicklung zu befördern?

Wie Darmstadt „ergrünt“

Die Wissenschaftsstadt Darmstadt (160.000 Einwohner, davon 50.000 Studierende) hat sich in den vergangenen fünf Jahren „stark in Richtung einer nachhaltigen Entwicklung aufgemacht“, sagt Torsten Schäfer, der an der Hochschule Darmstadt, einer Fachhochschule, eine Professur für Journalismus innehat – mit einem besonderen Schwerpunkt auf Umweltthemen (Grüner-Journalismus.de). Dieser Trend habe mit vielen Faktoren zu tun, „sicher auch den starken Grünen, einer sehr lebendigen Verbands- und Aktivist*innen-Szene, aber auch den Hochschulen, die hier zunehmend mehr aktiv sind“. An seiner Hochschule sei das Thema Nachhaltigkeit mittlerweile zu einer festen Dimension in Lehre, Forschung und auch im Betrieb geworden. „Darmstadt ist sicher eine der Städte bundesweit, die gerade besonders schnell ergrünt und hier im Spitzenfeld dabei ist“, beobachtet Schäfer.

Zentraler Motor innerhalb der Hochschule, der vieles in Bewegung bringt, ist die „Initiative für Nachhaltige Entwicklung“ (INE), die Schäfer als eine „Graswurzel-Gruppe, die von unten wirkt“ beschreibt. In ihr arbeiten Profs, Mitarbeiter*innen und Studierende zusammen. „Und von hier gingen auch wichtige Impulse für alle anderen Ebenen aus.“ In dieser Woche war das jüngste Treffen der Gruppe. Vom Elan der Studis ist der Professor begeistert, wenn er ihre Projekte aufzählt: „Hochbeete anlegen und Vogelhäuser, Achtsamkeitsspaziergang im Wald, Nachhaltigkeitspreis für Abschlussarbeiten, den sie planen, Selbsthilfegruppe zu Überkonsum und das Projekt Kleiderstange an mehreren Orten in Darmstadt für Kleidertausch“.

Beim großen Exzellenzwettbewerb um Deutschlands Super-Unis hat Darmstadt zwar nicht punkten können. Dafür war sie 2018 beim „kleinen Exzellenzwettbewerb“, dem Bund-Länder-Programm „Innovative Hochschule“, erfolgreich. Mit ihm werden Projekte von Fachhochschulen und kleinen Unis gefördert, die sich der sogenannten „Dritten Mission“ widmen – das ist nach Lehre und Forschung der Transfer des Wissens in die Gesellschaft und die Wirtschaft. Die Hochschule Darmstadt zog mit ihren Projekt „s:ne – Systeminnovation für Nachhaltige Entwicklung“ einen der großen Fische an Land. Zehn Millionen Euro stehen für fünf Jahre zur Verfügung.

Inzwischen sind im großen S:NE-Verbund 50 Personen an der Arbeit, berichtet Projektleiterin Silke Kleihauer. Das „S“ im Projektkürzel, die Systeminnovation, erklärt sie mit der Beeinflussung „soziotechnischer Systeme“. Es gehe in heutigen Zeiten des Klimawandels nicht mehr nur um Technologietransfer für Nachhaltigkeit. „Die Menschen müssen auch ihr Verhalten verändern“, sagt Kleihauer. Daher werde in Darmstadt Transfer als „rekursiver Prozess“ verstanden, bei dem die Gesellschaft und ihre Akteure von Anfang an mit einbezogen werden.

Konkret geht es bei den S:NE-Themen um zukunftsorientierte Stadtentwicklung am Beispiel des Quartiers Mollerstadt, die Digitalisierung zur Unterstützung von Prozessen Richtung einer nachhaltigen Stadtentwicklung sowie nachhaltige Konsum- und Produktionsweisen am Beispiel der Wertschöpfungsketten von Ledererzeugnissen. Dieser Ansatz für eine Lederindustrie ohne Chemie, der auch bundesweit Beachtung findet, ist hier beschrieben: https://impact.h-da.de/forschung/von-der-kuh-zum-schuh/

Lastenfahrrad „just in time“

Besonderen Drive hat in der Pandemiezeit das Projekt eines elektrischen Lastenfahrrads mit Namen „LieferradDA“ (die DA-Buchstaben stammen vom Darmstädter Autokennzeichen) erfahren. Weil durch Corona viele Läden geschlossen seien, „hat das Projekt eine richtigen Schub bekommen“, sagt Michèle Bernhard, die bei der Schader-Stiftung das Transformationsprojekt betreut.

Ziel ist es, einen Radbelieferungsdienst für Darmstadt aufzubauen, der den lokalen Einzelhandel unterstützt und dabei die Umwelt schont. Seit dem Start Mitte 2020 wurden 1.068 Lieferungen mit dem Lastenrad ausgefahren und dabei 3.053 Kilometer zurückgelegt. Ein Problem, das als nächstes gelöst werden muss: Es gibt zu wenig öffentliche Stromtankstellen in Darmstadt.

Doktor der Nachhaltigkeit

Derweil geht die Transformation auch in der Wissenschaft weiter. So wurde an der Hochschule Darmstadt das Promotionszentrum Nachhaltigkeitswissenschaften eingerichtet, an dem – bundesweit einmalig – der akademische Grad eines Doktors der Nachhaltigkeitswissenschaften (Dr. rer. sust.) erworben werden kann. Am 1. April tritt Nicole Saenger, Professorin für Wasserbau am Fachbereich Bau- und Umweltingenieurwesen, ihr Amt als Vizepräsidentin für Forschung und Nachhaltigkeit an – auch dies ein Novum.

„Unsere Transferstrategie ist bisher einmalig in der deutschen Hochschullandschaft“, sagt Saeger „Wir wollen direkt vom Wissen ins Handeln kommen und haben hierbei die Akteure im Blick, die an der Transformation mitwirken sollen.“ Beispiel sind in Darmstadt neben dem Ausbau der Fahrrad-Infrastruktur und dem bereits bestehenden Fahrrad-Schnellweg zwischen Darmstadt und Frankfurt die Beteiligung am Klimaschutzbeirat der Stadt oder die Unterstützung der Partnerstadt Uschgorod (Ukraine) im Abfallmanagement. Die schwierigste Transformationsaufgabe für Darmstadt sieht Saenger in der klimaverträglichen Sanierung des Gebäudebestands und der Nutzung gebäudenaher regenerativer Energiequellen wie der passiven Nutzung von Solarenergie.

An den Transformationstagen ist auch das Frankfurter Institut für sozial-ökologische Forschung ISOE mit einem Workshop beteiligt. Unter dem Titel „Navigating the Infodemic“ sollen neue Wege der Wissenschaftskommunikation im Zeitalter von Fake News und Nachrichtenüberflutung eruiert werden.

Für ISOE-Chef Thomas Jahn ist es wichtig, das S:NE-Projekt nach dem Auslaufen der Förderung Ende 2022 weiter fortzusetzen: „Es geht darum, die an vielen Orten entstandenen neuen Ansätze weiterzuführen, also zu verstetigen“, so Jahn. Dazu wäre es wichtig, „immer wieder auch Räume zu gestalten, an denen relevante Akteure der Region sowie weitere Hochschulen, außeruniversitäre Forschung und die Zivilgesellschaft zusammenkommen“. Hierzu zählten auch die „Darmstädter Tage der Transformation“ der Schader-Stiftung, wenngleich sie in diesem Jahr nur im Internet stattfinden können.

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Beitragsbild: (c) LieferradDA (Quelle)

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