Wiener Stadtbauern. Begegnungen – Produkte – Rezepte.
(cooppa, Aurelia Jurtschitsch, 08.08. 2018) Eine Buchvorstellung
Erfreulich und vielleicht erstaunlich, dass es sie gibt: Über 600 landwirtschaftliche Betriebe zählt die Landwirtschaftskammer Wien. Und wenn man Wien nicht nur als Metropole begreift, sondern als Bundesland sieht, ist man auch dem Land, dem Boden gedanklich etwas näher. Für die Stadt war und ist die Versorgung mit frischen Lebensmitteln stets ein herausfordernder Faktor und unterliegt einer ebenso steten Wandlung und Entwicklung. Die zwanzig Geschichten der im Buch vorgestellten „Stadtbauern“ spiegeln das eindrücklich wieder – vom Gärtnerbetrieb in vierter Generation, der immer weiter an den Stadtrand übersiedeln muß, über Quereinsteiger als Winzer bis zum Schneckenzüchter. Dass es ausgesuchte Schmankerlbetriebe sind, dafür sorgte das erprobte Gspür von Autorin Karin Schuh, die seit geraumer Zeit für Die Presse Beiträge rund um Kulinarik recherchiert, und Fotograf Clemens Fabry richtete seinen selektiven Blick auf und hinter all die gebotenen Kulissen.
Diese Einblicke machen schließlich klar, dass sowohl der Begriff Bauer als auch Stadt dehnbar ist. Wenn in einem Wohnhauskeller am Rand von Brigittenau Austernpilze gezüchtet werden ist das ziemlich städtisch. Das Substrat ist von Großküchen gesammelter Kaffeesud und wird eher weniger mit bäuerlicher Produktionsgrundlage assoziiert, womit eines der extravagantesten Beispiele, die Firma Hut und Stiel, vorweggenommen ist. Muttererde, d.h. Acker bzw. Feld, Steinwollmatte oder Kaffesud als Grundlage, Glashaus oder Freiland, totale Spezialisierung oder breites Sortiment von Raritäten, stadtnahe Lebensmittelproduktion hat viele Gesichter.
Bevor die einzelnen Portraits vorgestellt werden, wird in die allgemeine Geschichte der Stadtentwicklung, d.h. die Eingemeindung der umliegenden ländlichen Dörfer, und Statistik eingeführt. Nunmehr beträgt die Gesamtfläche von Wien 41.500 Hektar, wovon ca 5.700 Hektar landwirtschaftlich für Ackerbau, Gartenbau bzw. Obstanlagen und als Weingärten genutzt werden – nicht zu vergessen, dass ein Fünftel von Wien von Wald bedeckt ist! Auch der sogenannte agrarische Strukturwandel kommt zur Sprache: „Auch der Karl-Marx-Hof steht auf einem Gelände, das früher gärtnerisch genutzt war“ (Eveline Bach) oder beim „richtigen“ Bauern Karl Mayer, dem Gutsverwalter des Biozentrum Lobau, ein im Eigentum der Stadt Wien stehender 900-Hektar-Betrieb. Mitte der 1960er Jahre wurde mit der Rinderhaltung aufgehört (die sollen im Grünland und auf der Alm stehen, nicht in der Stadt!) und 1987 endgültig der komplette Betrieb (Getreide, Erdäpfel, Gemüse) als Biobetrieb geführt. Zuletzt fielen aber 160 Hektar dieser Bioflächen der Bebauung der Aspern Seestadt zum Opfer. – À propos, in den statistischen Angaben wird angeführt, dass 26 Prozent der Wiener landwirtschaftlich genutzten Flächen biologisch bewirtschaftet werden.
Die Bandbreite an Gärtnereien wird im Buch an zwei Spezialisten veranschaulicht. So steht die Gärtnerei Bach, gegründet 1899 in Stadlau, für die klassische breite Palette an Feld- und Feingemüse, hat sich aber aus Liebhaberei und Geschick auf eine schier unglaubliche Gemüse-, Kräuter- und Speiseblüten-Vielfalt erweitert, etwa Schlangenhaargurke oder Gewürztagetes. Einen radikalen Schnitt in der Geschichte des ehemaligen k. u. k. Lieferanten, der Gärtnerei Kölbl, damals noch stadtnah im 2. Bezirk, machte Georg Kölbl, als er den Betrieb übernahm und sich auf eine Pflanze konzentrierte, die Chili, diese allerdings in 20 Varianten, vom milden Paprika bis zur schärfsten Chili der Welt. Mit seinem Chilihof ist er übrigens der einzige Vertreter der Genossenschaft LGV -Frischgemüse, die dzt. 100 Mitgliedsbetriebe hat, ein Zehntel der Anzahl zur Zeit ihrer Gründung 1946!
Wenn Tierhaltung in Wien noch ein Thema ist, so sind es extravagante Rassen wie Schottische Hochlandrinder, Mangalitza- und Durocschweine, Sulmtaler Hühner, Bienen (!) und noch ein paar Schafe, Enten und Hühner. – Neu: Barsch und Wels mögen vertraute Fischarten sein, auch dass sie in Wasserbecken gezüchtet werden verwundert wenig. Innovativ ist die Kombination mit einer Gärtnerei, die das gefilterte Fischwasser zur Düngung von Paradeisern, Paprika, Melanzani u.a. verwendet. Das Zauberwort dafür ist Aquaponic, die Firma heißt Blün. Andreas Gugumuck hatte die Idee, eine (ur)alte Speise-Tradition wieder aufleben zu lassen, nämlich Weinbergschnecken. Urnahrung, die auch schon für unsere Vorfahren in der Steinzeit wichtig war – und vom Züchter als future food und die bessere Alternative zu Insekten propagiert wird.
Auf dem Cover sind alle hübsch angeordnet: Schwein, Gurke, Paradeiser, Chili, Pilz, Zwiebel, Karotte, Apfel, Fisch und Feige. Jedoch die Traube fehlt. Dabei wird dem Weinbau ein eigenes Kapitel gewidmet und der Wein als das flüssige Wiener Wahrzeichen apostrophiert. Die vier Einsteiger- und Umsteiger-WinzerInnen repräsentieren dabei eine eigene Generation „Stadtbauer“. Schließlich wird auch zwei Klostergärten die Referenz erwiesen. Von allen Genannten wird auch ein Rezept beigesteuert, was die jeweiligen Produkte praktisch näher bringt, etwa Schnelle Spaghettibohnen, Leber im Glas und Kirschspukkuchen.
Zwischendurch wird gern zitiert, dass sich Wien mit Gemüse, Kräutern und Obst selbst versorgen kann. Die genannten Mengen sind auch beachtlich, nämlich 169 Gemüsebaubetriebe erzeugen insgesamt über 63.000 Tonnen Gemüse, davon z.B. 25.000 Tonnen Gurken, auch das wird verraten. Dass der Markt aber de facto ganz anders spielt und gar nicht so wenig über Großmarkt oder Handelsketten, speziell zu den jeweiligen Spitzenerntezeiten, auswärts landen oder exportiert werden müssen, das ist eine andere Geschichte. Jedenfalls bei den im Buch vorgestellten Betrieben sind die Adressen und, wenn möglich, die Ab-Hof-Verkaufszeiten angegeben. Somit kann von der Lektüre unkompliziert in die Praxis übergegangen werden.
Links:
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Bildquellen: Biohof No. 5, (Foto:Clemens Fabry), Buchcover styriabooks.at