Generation Nachhaltigkeit
Studierende der Berliner Humboldt-Uni luden zur „Werkstatt für Zukunftsgestaltung“
(cooppa, 30.07.2019, Manfred Ronzheimer) Nach dem veganen Mahl muss jeder Esser in den Bambus-Kubus, in dem die temporäre Spüle aufgebaut ist, um Teller und Besteck zu säubern. Das graue Waschwasser fließt dann hinten in eine grüne Tonne, die mit Schilfgras bestückt ist. Über Nacht holen die Pflanzen die Nährstoffe aus der Spülbrühe und das gereinigte Wasser kann in den Uni-Garten dahinter geschüttet werden. Fast ein perfekter Kreislauf, wären dort noch die Tomaten früher gereift, für die Zubereitung des nächsten veganen Mahls. „Leider haben wir die Pflanzen zu spät gesetzt“, bedauert Rebecca Helwig, Geographie-Studentin an der Humboldt Uni Berlin, die das „Urban Gardening“-Projekt der HU-Studierenden in Adlershof betreut.
Das Sommer-Symposium der „Generation Nachhaltigkeit“, organisiert vom studentischen Nachhaltigkeitsbüro der Humboldt-Uni, wollte an diesem Wochenende auf dem Campus Adlershof in ihrer „Werkstatt für Zukunftsgestaltung“ nicht nur theoretisch über den ökologischen Wandel reflektieren, sonden ihn so alltagsnah wie möglich praktizieren. Es würde, nun bereits zum fünften Mal, eine „grüne Uni von unten“, die sich in den Themenfeldern „Stadt, Land, Food“, „Systemwandel“ und „Aktivismus“ nicht nur klüger machen, sondern auch mit Musik und Freiluftyoga für nicht-intellektuelle Entspannung sorgen wollte.
Studenten demonstrieren mit FridaysForFuture
„In unserem Nachhaligkeitsbüro machen im Schnitt 20 Aktive mit“, berichtet Pascal Kraft, ebenfalls Geografie-Student und einer der Organisatoren der Veranstaltung. Seit mehreren Jahren stellt das Büro den Fixpunkt der studentischen Aktivitäten dar, um das Thema Nachhaltigkeit sowohl in der Lehre wie etwa mit einer Ringvorlesung zu Umweltthemen, aber auch in das universitäre Management einzubringen. Jüngst hat der Akademische Senat der HU auf Anregung der Studis beschlossen, ein „Nachhaltigkeits-Kompetenzzentrum“ einzurichten, um der akademischen Ökologisierung weiteren Schub zu geben.
Auch eine Studierendengruppe von „FridaysForFuture“ hat sich inzwischen gegründet, die sich wöchentlich mit etwa 50 Kommilitonen an den öffentlichen Klimaprotesten der Berliner Schüler beteiligen. Student Kraft ist froh über die neue Protestbewegung, denn die Gefährdung der natürlichen Umwelt wird für ihn immer greifbarer. „Diese Bewegung darf nicht scheitern“, sagt er. „Denn die Zeit läuft uns davon“.
Grundlegende Gerechtigkeitsfragen
Das bestätigt auch Gregor Hagedorn, Initator der Wissenschaftler-Gruppe „ScientistForFuture“, in seinem Einführungsvortrag. Binnen weniger Wochen haben sich im Frühjahr dem Gründungsappell 27.000 Forscher in Deutschland angeschlossen. Die Gruppe will den protestierenden Schülern mit Fakten und neuen Untersuchungen beistehen. Im gruftig anmutenden Vortragsraum des Studentencafes „Mops“ („Motorenprüfstand“) legt der Naturwissenschaftler Hagedorn detailliert dar, warum das Pariser Klimabekommen von der deutschen Politik mit den bisherigen Maßnahmen nicht erfüllt werden kann.
Er benutzt den Begriff „Squeeze“ für das „Ausquetschen der künftigen Generationen“ und ihrer Zukunftsmöglichkeiten durch die heutige Politik, die sich wirksamer Transformation verweigere. „Es geht bei diesem Konflikt um grundlegende Gerechtigkeitsfragen“, betont Hagedorn. Das erkläre auch den Rückhalt, den die Fridays-Proteste der Schüler in der breiten Bevölkerung fänden.
Wanderprediger für die Nachhaltigkeit
Den Protestschub aus den Schulen hinein in die Unis hat auch Verena Salomon festgestellt, die zum Kernteam des bundesweiten „Netzwerk N“ (für Nachhaltigkeit) gehört. Das Netzwerk trainiert Studierende an den deutschen Hochschulen, sich dort für ökologische Belange einzusetzen und hat dafür das Instrument des „Wandercoaching“ erfunden. Die Idee fand auch das Bundesforschungsministerium so originell, dass es die Graswurzelbewegung seit fünf Jahren finanziell fördert. Inzwischen konnten von mehr als 400 deutschen Hochschulen rund 70 von den nachhaltigen Wander-Trainern besucht werden.
„Ganz zentral ist dabei der Faktor „Empowerment“, um die Studierenden zu befähigen, selbst etwas an ihrer Uni zu bewegen“, sagt Salomon, die an der Uni Jena Organisationsentwicklung studiert hat. Insgeamt schätzt sie, dass in der deutschen Hochschullandschaft rund 60 Prozent der Einrichtungen von „grünen Ideen“ bereits nennenswert infiziert sind. Die größten Änderungen sieht sie in der Lehre, aber auch im Betrieb der Hochscule, etwa beim Energiesparen oder der Nutzung regenerativer Energien.
Klimawandel wird verstanden
Dass die Schülerbewegung der FridaysForFuture in Deutschland so rasant zugelegt hat, hat die Netzwerk-Managerin auch überrascht. Vielleicht spiele dabei auch ein semantischer Faktor eine Rolle. „Was wir Studierenden als Nachhaltigkeit einforderten, wird heute als Protest gegen den Klimawandel auf die Straße getragen“, sagt Verena Salomon, die auch Umweltpsychologie studiert hat. „Dieser Begriff macht das Phänomen für viele Menschen besser begreifbar“. Womöglich heißt das nächste grüne Lerncamp „Generation Klimawandel“.
Schwerter zu Pflugscharen
Unter der Sommerhitze ist die Wiese vor dem „Mops“ inzwischen weitgehend gelb geworden. Wenn die Teilnehmer des Symposiums hier relaxen, blicken sie auf zwei urtümliche Betonbauten, die hier keine sinnvolle Funktion haben. Die wenigsten wissen um den historischen Hintergund. Die Röhre des Motorenprüfstandes und das Riesen-Ei des Trudelturms waren im Dritten Reich Experimentierstätten für Görings Kriegs-Flugzeuge. Die Bauten waren so massiv, dass nach dem Krieg jede Sprengung scheiterte. Nun herrscht hier studetischer Cafe-Betrieb. „Schwerter zu Pflugscharen“ – diese pazifistische Transformation ist in Adlershof jedenfalls schon gelungen.
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