Einmal Linz–Fukushima und zurück
(cooppa, Fritz Hinterberger, 11.03.2018) Für jemanden, der vor 40 Jahren rund um die Volksabstimmung über das AKW Zwentendorf für die Umweltbewegung politisiert wurde, ist die Szene etwas beängstigend. Vielleicht 25 Menschen großteils meinen Alters (ich bin 58) versammeln sich im Linzer Programmkino Moviemento zur Österreich-Premiere des Films „Furusato – Wunde Heimat“, einem Film über Menschen, die sich weigern, aus der Sperrzone rund um das zerstörte AKW Fukushima weg zu ziehen. Geladen hatte die Oberösterreichische Initiative „Atomstopp“ – ein laut Website „loser Zusammenschluss“ zweier anderer Initiativen, die sich der Information über und dem Kampf gegen Atomgefahren in Österreich verschrieben haben.
Dass der Film in Japan „spielt“ sieht man im Wesentlichen an den Schriftzeichen. Immer wieder fühlt man sich an Landschaften und Orte zum Beispiel im Mühl- oder Waldviertel erinnert. Der Vergleich ist garnicht so abwegig. Fukushima City sei vom AKW ungefähr so weit entfernt wie Linz vom tschechischen AKW Temelin, sagt einer der Aktivisten in der anschließenden Podiumsdiskussion, der selbst schon in Fukushima und Tschernobyl war. Die Landschaft ist dort recht ähnlich. Ein Gebiet ungefähr so groß wie Oberösterreich werde derzeit „dekontaminiert“ – mit völlig ungewissem Ausgang.
„Irgendwann wird sich der Mensch selbst zerstören – mit der von ihm selbst geschaffenen Technologie“ heißt es, am Ende des Films. „Ich fürchte, dieses irgendwann kommt schon bald“, sagt dazu der grüne Umweltlandesrat Rudi Anschober. Es sei ein „Kriminalakt, eine Technologie zu betreiben, mit der jede Sekunde so etwas passieren kann.“
Von einer „explosionsartigen Verbreitung“ der Atomkraft schwärmte schon ein japanisches Werbevideo aus den 1960er Jahren, das im Film gezeigt wird – eine Vorhersage, die sich leider ganz anders als gedacht bewahrheitet hat.
Eine der verstörendsten Szenen zeigt einen TEPCO-Manager, der – ein paar Jahre nach der Katastrophe – auf dem Meer vor Fukushima von frisch gefangenem Sashimi schwärmt, dass er vor der Kamera verspeist.
Andreas Singler, Japanologe, Protestforscher und Autor des demnächst erscheinenden Buchs „Sayonara Atomkraft“ spricht aber auch über die bei uns wenig beachtete Widerstandsbewegung. Es gibt auch in Japan Gegner der Atomkraft – bis zu 200.000 Menschen bei einzelnen Protestaktionen, hunderte Veranstaltung pro Jahr.
Derzeit sind vier von ursprünglich 54 japanischen Atommeilern wieder im Betrieb. 18 sollen es insgesamt werden, wogegen aber auch recht erfolgreich gearbeitet wird. Immerhin drei Viertel der Bevölkerung sind nach einer in der Zeitung Tokyo Shimbun veröffentlichten Umfrage für einen endgültigen Atomausstieg.
„Für mich war die Reise nach Japan eine Reise in die Vergangenheit“, sagt Singler über eine Protestbewegung, „wie wir sie aus Deutschland oder Österreich kennen“. Hunderte Gerichtsprozesse sind zum Teil seit Jahrzenten anhängig und haben – unterstützt durch engagierte Anwälte – schon etliche Atomkraftwerke verhindert. Auch geht es um die Frage der Entschädigung und nicht zuletzt um die Zuschreibung der Verantwortung – auch dem Staat gegenüber.
„So ein Unfall ist zu groß, um gelöst zu werden.“, sagt Singler. „Man kann nichts richtig machen. Bleiben geht nicht, wenn die Kinder nicht mehr draußen spielen können.“ Weggehen macht aber wegen der damit verbundenen „Desozialisierung“ auch viele krank. „Was man macht, macht man falsch.“
Eine Reise in die Vergangenheit ist die Fahrt nach Linz – einem Hotspot der österreichischen Anti-Atombewegung von Anfang an – auch für mich. Wegen der Gespräche nach der Veranstaltung aber auch mit Blick auf die sehr informative Website der Initiative im 90er-Jahre-Design – fast wie ein Museum aus der Frühzeit des Internets.
Szenenwechsel: am nächsten Morgen lädt Landesrat Anschober kurz vor dem siebten Jahrestag der Atomkatastrophe von Fukushima zu einem „Atomgipfel“ in die Redoutensäle beim Linzer Landhaus. Auch hier wieder ca. 25 TeilnehmerInnen aus Zivilgesellschaft, Politik und Wissenschaft – vorwiegend in einem Alter, dass sie die Debatten und Auseinandersetzungen im späten 20. Jahrhundert noch erlebt haben.
Zur Begrüßung spricht der Gastgeber von einem „kleinen Gedenkjahr“: vor 40 Jahren sei in der Volksabstimmung „sehr weise gegen die Atomkraft entschieden worden“. Das zweite in Österreich geplante AKW in Sankt Pantaleon hätte keine 30 Kilometer von hier gebaut werden sollen. Diese „Großtat der Bürgerinnen und Bürger hat uns vieles erspart.“, so Anschober.
Sein politisches Ziel in dieser Frage ist einerseits die Untersagung von Milliardensubventionen für den Neubau europäischer Atomkraftwerke, die ohne staatliche Unterstützung „schon lange nicht mehr wirtschaftlich“ seien. In Kürze steht dabei eine von Österreich angestrebte Entscheidung des europäischen Gerichtshofs an.
Zweites Ziel ist die Laufzeitbeschränkung der bereits arbeitenden AKWs. Es solle eine verpflichtende grenzüberschreitende Umweltverträglichkeitsprüfung auch bei Laufzeitverlängerung geben, weil alte Atomkraftwerke eine „noch problematischere und riskantere Betriebssituation“ darstellen. Bei einem Durchschnittsalter der europäischen Kernkraftwerke von 32 Jahren liegt hier ein wesentlicher Aspekt der Entscheidung, ob Europa bald ohne Atomkraft auskommt oder nicht. Die Festlegung eines Höchstalters für Atommeiler ist deshalb auch eine Forderung.
Politisch relevant ist der “Gipfel” durch die Anwesenheit hochrangigster VertreterInnen aller vier im Landtag vertretenen Parteien – die meisten von ihnen waren auch vor 40 Jahren bei der Volksabstimmung zumindest schon als WählerInnen mit dabei und bekennen, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen – – mit “nein” gestimmt zu haben. “Der Parteienzusammenhalt funktioniert in dieser Frage sehr sehr gut.”, sagt Anschober – und das schon seit fast 30 Jahren.
Ein 27. Maßnahmenpaket zur Finanzierung von konkreten entscheidenden Projekten der NGOs im Anti-Atombereich in Österreich und Tschechien soll am Montag im Landtag von allen Parteien beschlossen werden.
Etwa 300.000€ ist dem Land dieser Kampf “David gegen Goliath” dreier österreichischer und sieben tschechischer Vereine wert, der auch die seit zwei Jahren angesagten Sparbudgets überlebt und überdauert.
Nachdem in Österreich kein Atomkraftwerk ans Netz ging, ist Tschechien im Fokus der Debatte hier in Linz. Mit Dalibor Strasky ist ein in Tschechien geborener und dort noch immer lebender Aktivist heute Anti-Atom-Beauftragter des Landes Oberösterreich, der davor schon (noch als Befürworter) in den Atomkraftwerken Temelin und Dukovany sowie dann später schon als Gegner auch im tschechischen Umweltministerium gearbeitet hat.
Aktuell geht es um die Umweltverträglichkeitsprüfung für die in Dukovany geplanten neuen Blöcke und die Laufzeitverlängerung dort bestehenden Blöcke zwei bis vier. Die Genehmigung für letztere gilt auf unbestimmte Zeit, muss aber jährlich überprüft werden. Strasky verweist auf die “Probleme der wirklich veralteten Kraftwerke, die für einen 30-jährigen Betrieb konzipiert und ausgelegt sind”. Undichtigkeiten im Kühlsystem, Probleme in der Qualität der Reparatur sind nur zwei davon.
Neben dem Dauerthema Temelin ist vor allem die Suche nach einem Endlager in sogenannten “Supercontainern” aus Stahl und Bentonit Thema. Dazu sind in Tschechien Klagen anhängig. In Europa gibt es noch kein einziges Endlager.
Bis 2025 sollte einer von derzeit zehn möglichen Standorten in Tschechien offiziell benannt werden, um die Genehmigung für den Ausbau von Dukovany nicht zu gefährden. Die Expertin vom deutschen Öko-Institut, Beate Kallenbach-Herbert, vom Land Oberösterreich mit einer einschlägigen Studie beauftragt, hält das für “ambitioniert”, wenn nicht unrealistisch. Der Bau ist für 2050 bis 2065 geplant. Die als erlaubt vorgesehene Strahlendosis liege im internationalen Vergleich “im oberen Bereich” und etwa 2,5 bis 25 Mal über dem, was in Deutschland oder der Schweiz erlaubt ist.
Schließlich ist auch die nicht ungefährliche Stillegung des bayrischen Kernkraftwerks in Gundremmingen ein Thema. Auch hier reklamiert das Land eine Parteienstellung, während sich der Freistaat Bayern gegen “Horrorszenarien” der Atomkraftgegner wehrt,
Für den Herbst, dem Jubiläum der österreichischen Volksabstimmung, ist eine Informationkampagne geplant, unter anderem mit einer Ausstellung im Linzer „Wissensturm“ mit dem vielsagenden Titel „Und die Lichter gingen doch nicht aus.“ Es ist zu hoffen, dass damit auch jüngeren Menschen motiviert werden, sich dieser wichtigen Bewegung gegen die sogenannte „friedliche Nutzung der Atomkraft“ anzuschließen. Immerhin war es vor 40 Jahren ja auch ganz wesentlich eine Jugendbewegung, die zur Nichtinbetriebnahme von Zwentendorf geführt hat.