Die deutsche Energiewende aus Bürgersicht

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IASS stellte „Soziales Nachhaltigkeitsbarometer der Energiewende“ vor

(cooppa, 22.02.2019, Manfred Ronzheimer) Die Deutschen befürworten weiterhin die Energiewende, empfinden sie aber immer mehr als zu teuer, sozial ungerecht und chaotisch gemanagt. Das Vertrauen in die Politik, den Prozess gut steuern zu können, nimmt rapide ab. Dies geht aus dem neuen „Sozialen Nachhaltigkeitsbarometer der Energiewende“ hervor, das vom Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung (IASS) in Berlin vorgestellt wurde.

Im Vergleich zum ersten Barometer vor zwei Jahren steche hervor, „dass mehr Menschen die Umsetzung der Energiewende als eine Gemeinschaftsaufgabe einschätzen, an der sie selbst mitwirken möchten“, sagte IASS-Direktor Ortwin Renn. 80 Prozent der Bevölkerung sehen die Energiewende als Gemeinschaftsaufgabe, zu der jede/r in der Gesellschaft einen Beitrag leisten sollte. Dies ist eine leichte Steigerung gegenüber dem Vorjahresergebnis (+5) Bemerkenswert ist für Renn, dass es vielen Bürgern „schlicht und ergreifend mit der Energiewende nicht schnell genug vorangeht. Gleichzeitig wollen sie aber, dass diejenigen, die unter den möglichen Belastungen der Energiewende leiden, auch solidarisch von den anderen unterstützt werden.“

Für die Untersuchung, die erstmals die soziale Akzeptanz der Energiewende demoskopisch misst, wurden im letzten Sommer bundesweit über 6.500 deutsche Bürgerinnen und Bürger zu Herausforderungen der Energiewende, den Auswirkungen auf den Alltag, ihrem persönlichen Beitrag und ihren Gerechtigkeitsvorstellungen befragt.

Die negative Sicht nimmt zu

47 Prozent der Befragten bewerten den Stand der Energiewende in Deutschland unterm Strich mehrheitlich als negativ. Dies entspricht einer deutlichen Steigerung um 14 Prozentpunkte im Vergleich zur Vorjahresbefragung, bei der noch eine positive Einschätzung überwog. Die Energiewende wird in allen für die Soziale Nachhaltigkeit relevanten Aspekten wie Gerechtigkeit, Bürgernähe, Kosten und politische Steuerung um mehrere Prozentpunkte kritischer gesehen als im Jahr 2017.

Grafik: IASS

Massive Kritik wird an der Energiewendepolitik der Bundesregierung geübt. 61 Prozent sind mit ihr „sehr bzw. eher unzufrieden“, ein Anstieg von satten 12 Prozent gegenüber der Umfrage 2017. „Es geht zu langsam, um das Klima wirksam zu schützen“, ist mit 58 Prozent der Nennungen der Hauptkritikpunkt. „Die soziale Gerechtigkeit bleibt auf der Strecke“, meinen 52 Prozent. Die hohen Energiekosten werden erst an dritter Stelle genannt.

Parteipolitisch sind für die Energiewende nach Meinung der Bürger die Falschen an der Regierung. Die „besten Konzepte zur Umsetzung der Energiewende“ sehen nur 9 Prozent bei der CDU/CSU (minus 6 Prozent) und fünf Prozent bei der SPD (-2). Mit 27 Prozent fahren dagegen die Grünen fast ein doppelt so hohes Kompetenzprofil ein, das sich binnen Jahresfrist um 7 Prozent erhöht hat.

Eine breite Zustimmung gibt es für die CO2-Besteuerung, doch sollte der Anstieg der Energiepreise an anderer Stelle kompensiert werden. Über die Hälfte der Befragten (55 Prozent) befürwortet den Ausbau der Elektromobilität in Deutschland, während 15 Prozent dies ablehnen. Vor allem Jüngere zwischen 18 und 29 Jahren stehen dem Ausbau der Elektromobilität positiv gegenüber: 67 Prozent dieser Zielgruppe befürworten dies. Etwas mehr als die Hälfte der Bevölkerung (54 Prozent) lehnt ein Verbot des Verbrennungsmotors bis 2030 ab; dies gilt weitestgehend parteiübergreifend.

Mehrheit für Kohleausstieg, nur nicht in der Lausitz

Den Ausstieg aus der Kohle befürworten mit 64 Prozent ebenso viele Bürger wie den Atomausstieg. Selbst im Kohle-Land NRW sind 62 Prozent für das Kohle-Ende, in den ostdeutschen Braunkohleländern Sachsen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg schwankt die Zustimmung zwischen 43 und 46 Prozent. Die Ausstiegs-Gegner kommen dort auf 21 bis 27 Prozent (Rund ein Drittel jeweils ist indifferent). Die absolute Ausnahme bildet die Energieregion Lausitz aus Teilen Bradenburgs und Sachsens. Hier sind nur 27 Prozent für den Aussteg aus der Kohle und 43 Prozent dagegen. Wie sich das auf die Landtagswahlen beider Länder im kommenden Herbst auswirken wird, konnten die Energie-Demoskopen des IASS jedoch nicht vorhersehen.

Eine Mehrheit von 87 Prozent der Bevölkerung steht hinter den deutschen Klimaschutzzielen bis 2020 und will diese trotz eines voraussichtlichen Verfehlens nicht aufgeben. Dies gilt einkommens- und parteiübergreifend.

Die Hälfte (51 Prozent) der Befragten ist jedoch dafür, die Ziele zeitlich aufzuschieben, um den betroffenen Regionen und der Industrie mehr Zeit zur Umstellung zu lassen. Knapp über ein Drittel (36 Prozent) will hingegen, dass die Bundesregierung unbedingte Priorität auf schnellen Klimaschutz legt, auch wenn es in den Regionen zu Belastungen kommt.

Klimaschutz und sozialer Ausgleich

Daniela Setton, Autorin der Studie und Senior Wissenschaftliche Mitarbeiterin am IASS, sagte:

„Unsere Ergebnisse zeigen, dass die Menschen in Deutschland gleichermaßen Klimaschutz wie sozialen Ausgleich wollen. Beide Aspekte müssen in zentralen Bereichen der Energiewende stärker zusammengebracht werden, das ist eine der Kernaufgaben der Bundesregierung. So ist es fast der Hälfte der Befragten wichtig, dass der Windausbau an Land nicht gegen die vor Ort betroffene Bevölkerung durchgesetzt wird. Und die Einführung von CO2-Preisen dürfte nur mit einem für die Mehrheit überzeugenden und sichtbaren Kompensationsmechanismus ausreichend Akzeptanz finden. Eine zentrale politische Aufgabe ist aber auch, für die Menschen im Alltag praktikable, attraktive und bezahlbare Handlungsalternativen zum Verbrauch fossiler Energien zu schaffen, daran fehlt es noch, beispielsweise bei der Mobilität aber auch beim Heizen.“

Für René Mono, geschäftsführender Vorstand der 100 prozent erneuerbar Stiftung, zeigt das Barometer: „Wir können mit der Energiewende nicht weiter machen wie bisher. Die Menschen fordern eine gerechtere Verteilung der Kosten und einen lösungsorientierten Umgang mit Zielkonflikten. Vor allem aber erscheint ein Aspekt wichtig: Diejenigen, die von der Energiewende betroffen sind, müssen sich als Gewinner der Energiewende fühlen können, nicht als Leidtragende.“

Das Barometer ist ein Projekt von dynamis und wird federführend vom Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung (IASS) erstellt. Der von der innogy Stiftung für Energie und Gesellschaft, der 100 prozent erneuerbar stiftung und dem IASS getragene Think-Do-Rethink-Tank dynamis wurde im Dezember 2016 gegründet.

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Beitragsbild: IASS Potsdam

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