Aus der Werkstatt – Klimapolitik ist gut für die Wirtschaft
ERSTE ERGEBNISSE DES SERI/GWS MEETPASS-PROJEKTS
FÜR DEN ÖSTERREICHISCHEN KLIMAFONDS
von Friedrich Hinterberger
Das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), der Weltklimarat der Vereinten Nationen, veröffentlichte im Herbst 2018, kurz vor der Klimakonferenz im polnischen Kohlerevier Kattowitz einen Bericht, nach dem die Menschheit nur mehr 6-700 Gigatonnen (GT) CO2 emittieren dürfe, um zu erreichen, dass die globale Temperatur um nicht mehr als 1,5 Grad ansteigt verglichen mit dem Niveau vor der industriellen Revolution – und auch das nur mit 50%iger Wahrscheinlichkeit (https://report.ipcc.ch/sr15/pdf/sr15_spm_final.pdf).
Das sind 6-700.000.000.000 Tonnen – oder 100 Tonnen pro heute lebendem Erdenbürger. Schon bei 1,5 Grad sind die von den Wissenschaftlern erwarteten Folgen erheblich – darüber hinaus wären sie dramatisch.
Die Grundlagen dazu hatte bereits vor 10 Jahren der Wissenschaftliche Beirat für globale Umweltfragen der deutschen Bundesregierung (WBGU) in einem Sondergutachten gelegt.
Derzeit verbraucht die Weltgemeinschaft ca 34 Gigatonnen/Jahr – bei weiterhin steigender Tendenz auf ca. 45 Gigatonnen – das sind fast konstant 4,5 Tonnen pro Kopf und Jahr. Das heißt, in 15-20 Jahren wäre die Zahl von 6-700 Gigatonnen erreicht. Ohne zusätzliche Maßnahmen würden die Gesamtemissionen bis 2050 auf das doppelte der einigermaßen sicheren 6-700 GT, nämlich auf ca 1300 GT, ansteigen.
Seit fast 2 Jahren arbeiten wir nun gemeinsam mit unserem langjährigen Partner der Gesellschaft für wirtschaftliche Strukturforschung (GWS) für den österreichischen Klimafonds daran, zu berechnen, was nötig wäre, um dieses bei der Klimakonferenz in Paris 2015 beschlossene Ziel zu erreichen (www.meetpass.at). Die ersten Ergebnisse haben wir kurz vor Kattowitz bei der Wiener “Growth in Transition”-Konferenz vorgestellt. Und gerade jetzt sind wir dabei, die gewonnen Daten näher zu analysieren.
Zunächst: was passiert, wenn nichts passiert? Wenn also (über das bereits beschlossene hinaus) alle gesellschaftlchen Akteure (Unternehmen, Haushalte und die Politik) weiter machen wie bisher. Referenzszenarieo oder “Business as Usual” nennen die Kollegen von der GWS, Martin Distelkamp und Mark Meyer, dieses Szenario. Es ist also keine Prognose sondern die Abschätzung eines “Was wäre wenn…”. Und das Ergebnis ist: während sich die weltweite Wirtschaftsleistung 2050 fast verdoppeln würde (+85%), steigen die Emissionen um ein Drittel. Es gibt sie also, die berühmte „Entkopplung“ der Treibhausgase vom Wirtschaftswachstum. Sie reicht aber bei weitem nicht aus, um die Emissionen tatsächlich zu senken.
Um das Ziel von insgesamt nur mehr 6-700 GT zu erreichen, müssten die Emissionen pro Kopf defakto ab sofort deutlich sinken – und zwar auf etwa eine Tonne pro Kopf der Weltbevölkerung in 2050. Das ist eine Reduktion auf etwa ein Fünftel – um fast 80%. In Europa (EU) liegen wir derzeit bei 8 Tonnen/Kopf. Die erforderliche Reduktion auf eine Tonne ist also noch größer.
Die gute Nachricht – das zeigen wir in unserem zweiten Szenario: eine solche Reduktion ist nicht nur ohne wirtschaftlichen Zusammenbruch möglich. Die Wirtschaft würde sogar stärker wachsen als ohne verstärkte klimapolitische Anstrengungen (global um 100% statt „nur“ um 85%). Und in Europa wäre die wirtschaftsankurbelnde Wirkung noch stärker. Statt erwarteter 31% Erhöhung des europäischen Bruttoinlandsprodukts (was im langjährigen Durchschnitt unter 1% bedeutet) ohne verstärkte Klimapolitik wären so 45% möglich, was einer Verstärkung des Wachstums von fast 50% entspricht.
Erforderlich wäre dafür neben einer Reihe von anderen Maßnahmen vor allem eine Erhöhung der Preise für CO2 auf 225-265 $ pro Tonne. Schon heute wird nach dem europäischen Emissionshandelssystem ein Preis von 11$ fällig. Es handelt sich also um eine Verzwanzigfachung, die eine solche wirtschaftlich wie ökologisch positive Entwicklung noch herbei führen könnte. Global gibt es ein solches System aber (noch) nicht. Je später wir auf einen solchen Pfad einschwenken, desto schneller müssten die Preise steigen, um das Gesamtziel noch zu erreichen. Das wäre vermutlich dann auch ökonomisch fatal.
Die Möglichkeit eines solchen Emissionshandelssystems auf globaler Ebene haben bereits vor 30 Jahren die Inder Anil Agarwal und Sunita Narain ins Spiel gebracht (http://www.indiaenvironmentportal.org.in/files/GlobalWarming%20Book.pdf). Aktuell fordert der Club of Rome in seinem Bericht „Wir sind dran“ (engl. „Come on“) einen solchen Budgetansatz (https://www.randomhouse.de/Buch/Wir-sind-dran-Club-of-Rome-Der-grosse-Bericht/Ernst-Ulrich-von-Weizsaecker/Guetersloher-Verlagshaus/e529351.rhd, S. 252 ff.). Und auch in seinem „Climate emergency plan“ (https://www.clubofrome.org/2018/12/03/the-club-of-rome-launches-the-first-climate-emergency-plan/) wird die Einführung einer realistischen Verteuerung und Besteuerung gefordert, um die wahren Kosten fossiler Brennstoffe und Ressourcen herzustellen.
Wie kann ein solcher Budgetansatz weltweit umgesetzt werden? Eine Idee dafür ist eine an die globale Finanzarchitektur angelehnte Organisation, die (einmal demokratisch legitimiert) allein der Erreichung dieser Ziele verpflichtet ist.
In den meisten Ländern wacht heute eine von Regierungen weitgehend unabhängige Zentralbank über die Geldmenge und die Einhaltung vorgegebener Inflationsziele (sie sollte nicht zu hoch, aber auch nicht zu niedrig sein).
In ähnlicher Weise könnten nationale und mit entsprechenden Instrumenten ausgestattete Institutionen darüber wachen, dass die pro-Kopf-Emissionen eines Landes (und damit letztlich auch weltweit) in einem bestimmten, vorgegebenen Korridor auf letztlich 1 Tonne/Kopf und Jahr bis 2050 sinken. Da derzeit viele („Entwicklung-“)Länder noch unter einem solchen Korridor liegen, ist auch ein internationaler Ausgleich nötig, bei dem Länder, deren Emissionen über dem Korridor liegen, Zertifikate von diesen Ländern zukaufen, was dort zusätzliche finanzielle Mittel und damit wirtschaftliche Chancen ermöglicht (ein solcher Mechanismus ist in den obigen Zahlen – noch – nicht berücksichtigt).
Eine andere Möglichkeit wäre natürlich die Um- und Durchsetzung einer in allen Ländern wirksamen Steuer auf CO2/Treibhausgase mit dem Ziel, die Preise entsprechend zu verteuern und ggf. über Steuersenkung und Förderung (ev. auch einen pro-Kopf-Transfer wieder zurück zu geben). Genauere Berechnungen zu den Effekten solcher Maßnahmen stehen noch aus.
Schon jetzt ist unsere Arbeit aber eine Bestätigung dessen, was Klimaforscher und ökologische Ökonominnen und Ökonomen seit Jahren fordern – wieder einmal mit aktuellen Zahlen belegt. Die Ergebnisse unserer Arbeit sind aber viel tiefer gehend. Wir können die Daten für über 30 Länder und Branchen analysieren, die Auswirkungen auf die Arbeitslosigkeit ebenso abschätzen wie auf den Ressourcenverbrauch (nicht nur die Emissionen). Fleischkonsum und Flächenverbrauch, Wasser und Energie – all das werden wir uns in den nächsten Wochen genauer anschauen. Und veröffentlichen.
Im Grunde ist es nicht weniger als die Darstellung zweier möglicher, umfassender Sozial- und Wirtschaftsgeschichten der nächsten 35 Jahre. Und ein drittes Szenario wird uns auch noch beschäftigen. Was passiert, wenn zusätzlich noch die Zivilgesellschaft aktiv wird, und in den reichen Teilen der Erde weniger Druck auf weiteres wirtschaftliches Wachstum erzeugt, in dem die Menschen weniger konsumieren, aber auch mehr Freizeit haben werden. Seien Sie gespannt – wir sind es auch!