Wissenschaft, Politik – und die Rolle der Gesellschaft
(cooppa, Interview von Fritz Hinterberger, 12.06.2018)
Hermann Ott ist 56 Jahre alt, verheiratet und hat zwei Kinder, ein Enkelkind. Er arbeitet seit 1994 in verschiedenen Funktionen am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie. Zwischendurch, 2009 bis 2013 war er als Abgeordneter der Grünen im deutschen Bundestag, und in dieser Zeit Klimapolitischer Sprecher und Mitglied in der Enquete-Kommission Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität. Aber auch zivilgesellschaftlich ist Ott engagiert viel unterwegs. Er war im Aufsichtsrat von Greenpeace und aktuell im Präsidium des deutschen Naturschutzrings. Das sind etwa 100 Naturschutz- und Naturnutzungsorganisationen. Außerdem gründete er eine „Zivile Enquete“ zum Thema „(Post-)Wachstum und Wohlstand.“
Ott bezeichnet sich als moderner Fünfkämpfer des Klimaschutzes, der in ganz unterschiedlichen Disziplinen antritt: in Wissenschaft, Politik und Zivilgesellschaft, als Publizist und engagierter Bürger.
Im ersten Teil des Interviews geht es vor allem um die Rolle der Wissenschaft und deren Verhältnis zu Zivilgesellschaft und Politik . Teil 2 folgt demnächst.
cooppa: Was motiviert Dich, seit fast drei Jahrzehnten in ganz unterschiedlicher Weise für die Nachhaltigkeit zu arbeiten?
Hermann Ott: Wir haben die Situation, dass wir mit unseren Studien zum Umweltschutz, zu Nachhaltigkeit, tatsächlich unseren Planeten pflastern können, quasi rundum. Wir müssen weiter forschen, klar, doch das eigentliche Problem ist die Umsetzung. Deshalb habe ich einige Jahre in der Politik verbracht um ‚näher dran’ zu sein. Ganz viel davon hat auch mit Kommunikation zu tun. Erreicht man den Menschen oder erreicht man den Menschen nicht – und mit welchen Mitteln.
Was hast du erreicht? Positives?
Wechseln wir doch mal die Perspektive und versetzen uns in jemanden hinein, der/die aus einem verschmutzenden Industriezweig kommt oder in einen Rechtspopulisten! Dann merken wir, es ist bereits ganz schön viel erreicht worden – zu deren Ärger. Wir haben es geschafft, den Begriff der Nachhaltigkeit in der Welt zu festigen, ohne direkt von veränderten Klima- oder Erdsystemen oder durch materielle Not zu einer Verhaltensänderung gezwungen zu werden. Es ist uns gelungen die Grundgedanken von gesunder Ernährung, Umweltschutz, Nachhaltigkeit in so einer Weise in einer Debatte zu verankern, dass auch Politik sich verändert hat. Das finde ich ein erhebliches „achievement“. Vor allem wenn man bedenkt wie erfolgreich eigentlich unser Zivilisationsmodell bisher gewesen ist: Wie hoch unser Lebensstandard ist und dass wir mehrere Hundert „Energiesklaven“ haben, die permanent für uns arbeiten, damit wir den Lebensstil führen können den wir führen. Und das in Frage zu stellen und zu sagen „so kann es nicht weitergehen, wir müssen andere Wege gehen“ – das ist nicht selbstverständlich.
Das was in der Nische entstanden ist, muss sich irgendwann in der Gesetzgebung ausdrücken, sonst besteht die Gefahr, dass die Nischen „austrocknen“ und sich nicht wirklich ausbilden können.
Könnte man die genannten Akteure zeitlich aneinanderreihen. Beispielsweise zu sagen, die Zivilgesellschaft hätte angefangen, dann hat sich die Wissenschaft erst mit dem Thema beschäftigt – oder umgekehrt? Und hat die Politik auf sie gehört und dadurch wurde das Bewusstsein in Unternehmen erst geschaffen?
Es ist unwahrscheinlich, dass von der Ebene der Politik heraus tatsächlich grundlegende Veränderungen wirksam werden. Dazu ist das System zu selbst-referenziell, zu sich-selbst-stabilisierend. Das System wird in einer Theorie als „sozio-technisches Regime“ bezeichnet, das sehr, sehr stabil ist. Veränderungen ergeben sich tatsächlich in der Gesellschaft. In den sogenannten Nischen. Da tun sich Menschen zusammen, denken gemeinsam Neues und probieren es dann auch aus.
Es gibt ein schönes Streitgespräch zwischen Erhard Eppler, er war Entwicklungsminister in Deutschland unter den Sozialdemokraten, und Niko Paech, einer der Vordenker der Postwachstums- und Degrowth-Bewegung. Dieses Streitgespräch habe ich rezensiert auf dem Postwachstums-Blog und habe die klassische Mittelposition eingenommen: Weder können aus der Politik heraus die Veränderungen kommen (so Eppler), noch stimmt es, wie Niko Paech behauptet, dass dies nur aus der Gesellschaft kommen kann. Sondern das ist ein Wechselspiel, ein iterativer Prozess. Manchmal nennt man das auch ‚reflexive governance’, also reflexives Regieren, bei dem Maßnahmen nicht für alle Ewigkeit in Stein gemeißelt sind, weil man auch nicht wirklich wissen kann, wo genau man hinmuss oder wie man da hinkommt. Man muss eine gewisse Richtungs-Sicherheit haben, der Kompass muss da sein. Dann erst kann man Schritte und Maßnahmen in die Wege leiten, oder gegebenenfalls korrigieren. So arbeitet ja auch ein Navi (Navigationsgerät) übrigens – fährt los und gegebenenfalls wird korrigiert.
Das was in der Nische entstanden ist, muss sich irgendwann in der Gesetzgebung ausdrücken, sonst besteht die Gefahr, dass die Nischen „austrocknen“ und sich nicht wirklich ausbilden können. Für mich besteht das aus einem wechselseitigen sich-befruchten, wo auf Regierungsebene Maßnahmen getroffen werden, die wiederrum Nischen-Aktivitäten erleichtern in den Mainstream zu kommen. Also ein Prozess des Wandelns, der nicht statisch ist, nicht von einer Richtung linear in die andere, sondern wo sich gegenseitig befruchtende Aktivitäten stattfinden.
Also: Ziel erreicht?
Nein, noch viel zu wenig! Ich habe nur versucht mal die andere Perspektive einzunehmen. Die Verhältnisse sind leider unglaublich versteinert, könnte man sagen. Trotz all des Fluidums, trotz all der Veränderungen die wir gerade spüren. Diese sind hauptsächlich exogen induziert, also durch Veränderungen in den Technologien zum Beispiel, die gerade zu sehr mächtigen Änderungen unseres gesamten sozialen und kulturellen Zusammenlebens führen, was ja jeder spürt.
Aber eine zielgerichtete Transformation, und nichts anderes ist ja eine Wandlung hin zur Nachhaltigkeit, also eine sozial-ökologische Transformation ist wahnsinnig schwierig und wurde tatsächlich noch niemals so versucht in der Geschichte der Menschheit. Wir machen es ja auch nur weil wir es müssen, damit wir die planetaren Grenzen nicht verletzen und die Basis unserer Zivilisation zerstören!
Hier wurden definitiv erste Schritte getan und man muss anerkennen, es wurden schon Ziele erreicht, jedoch fallen diese weit ab hinter dem, was noch getan werden muss.
Müssen wir uns mehr anstrengen oder gibt es fundamentale Gegenkräfte die es zu überwinden gilt?
Es gibt stabilisierende Kräfte des „jetzt“ die unglaublich stark sind. Das sind unter Anderem große Unternehmen deren Geschäftsmodell darauf ausgerichtet ist, fossilen Ressourcen zu fördern oder diese zu verarbeiten. Jedoch dürfen diese Rohstoffe nicht mehr verarbeitet werden, wenn wir unsere Ziele zum Schutz der Erde erreichen wollen. Entsprechend setzen diese Unternehmen alles daran um das Bestehende zu verteidigen und den Wandel zu mindern.
Die Solarindustrie hat ihren Bonus verspielt. Das muss man leider so hart sagen. Sie haben in einer Mischung aus Größenwahn und Ignoranz ihre Unternehmen in den Sand gesetzt, in Deutschland zumindest.
Wie genau tun die das? Kamen diese Leute zu dir, als Politiker und haben dir Geld angeboten um deine Ausrichtung entsprechend anzupassen?
Nein so funktioniert das ‚leider’ nicht – ich war ja auch in der Opposition, also wäre das nicht sinnvoll gewesen. Es gibt natürlich Lobbyisten im Parlament, die eindeutig von bestimmten Seiten bezahlt werden und da auch entsprechend ihre Politik machen. Aber normalerweise ist das subtiler, die Einflussnahme. Zum Beispiel werden von der Industrie aus Spezialisten in die Ministerien eingeschleust oder in Brüssel in die EU-Kommission, die dann an den Gesetzesentwürfen arbeiten, die die eigene Industrie regulieren sollen. Also das ist quasi „common practice“ und führt oft genug dazu, dass schon im Gesetzgebungsprozess zu Beginn ein Entwurf steht, der relativ industriefreundlich ist.
Dieser Einfluss führt dazu, dass die neu entstehenden Industrien, die eh relativ schwach sind, noch weniger Luft bekommen. Das war ja eines der unausgesprochenen Ziele der Erneuerbaren Revolution: Eine neue industrielle Basis zu schaffen, deren Akteure dann dafür sorgen sollten, dass die Politik ihre Belange auch berücksichtigt. Das ist zum Teil grandios schief gegangen. Die Solarindustrie hat ihren Bonus verspielt. Das muss man leider so hart sagen. Sie haben in einer Mischung aus Größenwahn und Ignoranz ihre Unternehmen in den Sand gesetzt, in Deutschland zumindest. Sie haben nicht dafür gesorgt dass die politischen Rahmenbedingungen ihnen günstig gestimmt sind.
Dann sind die Bedingungen sogar schlechter geworden durch den Einfluss der fossilen Industrien?
Genau. Dann sind sukzessive durch die letzten Regierungen die Bedingungen für Erneuerbare verschlechtert worden. Das fing damit an, dass man die Rahmenbedingungen des Erneuerbare-Energie-Gesetzes nicht angepasst hat. Denn es war klar, dass die Solarenergie einen Boom erleben würde, weil aber die Einspeisungsgesetze nicht angepasst wurden sind die Kosten explodiert. Das wurde sodann als Hebel genommen, um ab 2009 die Bedingungen zu verschlechtern. Vor allem wurde die dezentrale Energiewende zerstört, die ja eigentlich das Markenzeichen in Deutschland war: Also eine von den Bürgern und Bürgerinnen getragene Entwicklung mit Wind und Solarenergiegenossenschaften usw.. Jetzt können praktisch nur noch große Unternehmen weiter in die Solar- und Windenergie investieren. Es ist also kaltblütig einer der Grundpfeiler des Erfolgs der deutschen Energiewende zunichte gemacht worden. Das wird man in den nächsten Jahren sehr stark spüren.
Gibt es Hoffnung in diesem Dreieck: Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Politik?
Also Hoffnung sehe ich zum einen in Gesellschaft, weil hier eine ganz neue Sensibilität entsteht. Das wird vielfach Achtsamkeit genannt, ein etwas religiös besetzter Begriff der bedeutet: Wir müssen mit den Ressourcen unserer Erde sparsam umgehen. Man sieht das auch an der wachsenden vegetarischen Bewegung, die ja nicht nur eine Bewegung für die eigene Gesundheit und den Tierschutz ist. Meine Tochter sagt, sie ist vor allem deshalb Vegetarierin, weil für die Erzeugung von Fleisch sechs bis zehn mal so viel Energie aufgewendet werden muss, wie für dasselbe in pflanzlich. Es ist also ineffizient. Und das bedeutet nichts anderes als achtsam sein.
Und du sagst, das haben sich die Leute von den Wissenschaftlern sagen lassen?
Das ist zum Teil von der Wissenschaft gekommen, zum Teil ist es aber auch in der Zivilgesellschaft selbst entstanden, von Aktivisten, von Umweltverbänden und anderen, die das in die Gesellschaft hineingebracht haben. Das ist eindeutig auf fruchtbaren Boden gefallen, wir erleben das gerade bei den derzeit unter 20-Jährigen, den twenty-somethings. Und mein Gefühl ist, dass dies noch viel stärker werden wird bei denen, die danach folgen. Ein Gefühl der Verantwortung für diesen Planeten und was unsere Zivilisation erhält, das wir uns noch gar nicht vorstellen können. Dieses Gefühl drückt sich zum Teil auch im Lebensstil aus, wie gesagt beispielsweise der fleischlosen Ernährung, aber auch beim Verzicht auf das Auto merkt man das. Allerdings gibt es da auch Dissonanzen – beim Thema Fliegen zum Beispiel. Dort wird, auch von Menschen die sehr bewusst leben wollen, der Wochenend-Trip nach Barcelona für normal gehalten. Also das ist noch nicht in allen Lebensbereichen angekommen.
Dieses neue Bewusstsein ist zum Teil auch technologisch induziert, wird durch die Digitalisierung gespeist. Über die Tatsache dass man permanent mit Menschen in Kontakt ist, die auf ganz anderen Erdteilen leben, entsteht ein Bewusstsein für das Globale. Ein kosmopolitisches Bewusstsein quasi. Das wird geweckt und genährt bei der jüngeren Generation und ist auch bei den älteren wirksam.
Teil 2 folgt demnächst.
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Wow, dieses Interview hat’s in sich was die Perspektive „Hoffnung“ betrifft – ich freu‘ mich schon auf Teil 2!