„Das Auftreten verändert sie total“ – Roland Spendlingwimmer mit seinem Circo Fantazztico in Wien
(cooppa, Fritz Hinterberger, 19.11.2017) Ende Oktober beendete der Circo Fantazztico, ein künstlerisches Sozial- und Bildungsprojekt aus sozialen Brennpunkten der Provinzhauptstadt San Isidro de El General im Süden Costa Ricas, seine diesjährige Europatournee im Wiener Dschungel. Impressionen davon sind weiter unten auch als Video zu finden. Der Österreicher Roland Spendlingwimmer erarbeitet mit sozial benachteiligten Kindern und Jugendlichen alle zwei Jahre ein neues Stück, tourt damit durch Mittelamerika und kommt als wiederkehrender Höhepunkt seiner Arbeit immer wieder auch nach Europa.
Auf nationaler Ebene präsentiert sich die Gruppe ganzjährig auf Feiern, Festivals und in Schulen. Zu den angebotenen Zirkusaktivitäten zählen Jonglage, Akrobatik, Theater und Musik. Dieser Rahmen ermöglicht den Jugendlichen unter anderem, wirksam im Miteinander Vertrauen in sich selbst und die Gruppe aufzubauen.
„Kunst dient als Mittel zu persönlichem und sozialem Wandel, mit der Aussicht auf eine bessere Zukunft“, sagt Spendlingwimmer. „Alle Minderjährigen, unabhängig von ihrem sozialökonomischem Hintergund, sollen kostenlosen Zugang zu Spiel, Bildung, Kunst, Kommunikationsmitteln und kulturellen Freiräumen haben, als Basis von Gleichberechtigung. Wir legen großen Wert auf die Autonomie der Jugendlichen und ihre ganzheitlich positive Entwicklung.“
cooppa: Wie hat es dich aus dem Mühlviertel nach Costa Rica verschlagen?
Roland Spendlingwimmer: Ich war etwa seit 1970 bei der Gruppe Longo Maï. Im Rahmen der Gründung der Kooperativen von Longo Maï in Frankreich, der Schweiz und in Deutschland sind wir auch mit Nicaragua zur Zeit der sandinistischen Revolution in Kontakt gekommen. Es gab sehr viele Flüchtlinge von Nicaragua nach Costa Rica. Einige der Beteiligten aus Nicaragua kamen nach Europa und lernten unsere Kooperativen kennen. Sie waren begeistert von dieser Form der landwirtschaftlichen Kooperativen und hatten die Idee, eine solche für Flüchtlinge zu gründen. Wir haben uns entschieden, das zu machen. Dann ging es darum, wer Interesse hat, just nach Costa Rica zu gehen und das zu leiten. Mein Traum war immer schon Latein-Amerika, das war die Gelegenheit. So bin ich 1979 nach Costa Rica gegangen, um mit dem Projekt zu beginnen.
(Die Longo-maï-Bewegung ist heute ein Netzwerk von acht selbstverwalteten landwirtschaftlichen Kooperativen in fünf Ländern Europas, Anm. d. Red.)
Wie viele wart ihr dort?
Zunächst war dort eine Gruppe von Longo Mai von etwa 12 Personen, um die ersten Arbeiten zu machen. Die sind jedoch dann nach etwa einem Jahr zurück gegangen, und ich bin mit meiner Familie langfristig geblieben, um das Projekt anzuleiten. Ich dachte zu Beginn, ich verbringe dort drei oder vier Jahre. Mittlerweile sind daraus 30 Jahre geworden, weil es mit so gefallen hat. Jetzt bleibe ich dort, meine Kinder und meine Familie sind dort, und es gefällt mir nach wie vor.
Wie ist es dann, für sechs Wochen zurück zu kommen?
Das ist für mich sehr schön, weil ich die Wurzeln auf keinen Fall vergessen möchte. Es ist schön, meine ganze Familie zu besuchen, die Brüder und Schwestern, und Familientreffen, die wir haben, und auch meine Kinder haben Interesse, das weiter zu führen.
Macht ihr diese Tournee regelmäßig, kommt ihr öfter nach Europa?
In der Regel alle zwei Jahre, weil der Prozess, ein neues Stück auszuarbeiten, die Gruppe darauf vorzubereiten, die Musik dafür zu komponieren, und die Organisation ein etwas längerer Prozess ist und wir das sehr gründlich machen. Alle zwei Jahre gibt es ein neues Stück, wir erzählen Geschichten durch den Zirkus. Auch unsere Tourneepartner in Europa brauchen eine gründliche Vorbereitung, es wäre zu viel, das jedes Jahr zu machen.
Wie war diese Tournee für dich?
Für mich war diese Tournee hervorragend. Erstens haben wir gute, erfahrene Projektpartner, die wissen, worum es geht und wie man organisiert, wie man die Säle füllt. Auch was die Infrastruktur betrifft: Es ist wichtig, dass wir Gastfamilien für die jungen KünsterInnen haben. Sie sind dort untergebracht und gut versorgt. Das Wohlbefinden unserer Truppe ist sehr wichtig. Und wir haben gute Aufführungsorte, schöne Bühnen, wie hier in Wien. Hier sind wir zum ersten Mal im Dschungel.
Wie geht es den Jugendlichen damit?
In der Gruppe ist es so, dass durch die fortwährende Neuerung der Gruppe, die Hälfte neu, also seit ein, zwei Jahren beim Zirkus dabei ist. Die andere Hälfte hat schon Erfahrung. Sie haben die Aufführungen sehr gut geschafft. Wir schauen natürlich, dass wir von Mal zu Mal nicht an Niveau verlieren, sondern das künstlerische Niveau halten können.
Wie ist es für die Jugendlichen, das erste Mal in Europa zu sein?
Wir verbinden das mit Ausflügen und Arbeit in Schulen, wir geben sehr viele Workshops. Dort und da haben wir dann auch Aufführungen mit den TeilnehmerInnen der Workshops, die Eltern und Freunde einladen, um zu zeigen, was sie gelernt haben. So haben wir z.B. eine schöne Projektwoche in Chur in der Schweiz am Kantonalgymnasium gehabt, wo wir eine Woche lang Workshops und Aufführungen hatten. Das ist dann manchmal etwas stark für unsere Jugendlichen, aber dann kommen auch wieder Freizeittage, wo wir wandern gehen oder Ausflüge machen, wie zu den Salzminen in Hallein.
Die sechs Wochen Tournee sind also das Hauptziel der letzten zwei Jahre?
Ja, wir treten aber natürlich auch in Costa Rica auf, die Premiere ist immer in Costa Rica. Wenn wir jetzt von der Europa-Tournee zurück kommen, geht es in Costa Rica weiter. In Nicaragua treten wir auch regelmäßig im Jänner auf, bald gehen wir auch nach Mexiko. In Costa Rica natürlich auch an vielen verschiedenen Orten.
Was möchtest Du persönlich mit dem Circo Fantazztico erreichen?
Für mich das Wichtigste ist, dass das Projekt in dem Sinn ein Erfolg ist , dass es zeigt, was man durch Kunst im sozialen Bereich an Veränderung erreichen kann, und bei den Jugendlichen, denen es Stabilität und Zukunftsaussicht gibt. Die Kunst und das Auftreten vor mehreren hundert Personen verändert sie total. Das stärkt das Selbstbewusstsein, das werden Menschen, die sich danach wesentlich besser durchsetzen, auch wenn sie dann nicht in der Kunst ihren Beruf finden. Das könnte man an sehr vielen Orten anwenden.
Wir sind in einer kleinen Provinzhauptstadt in Costa Rica, mit 45 000 Einwohnern, und haben dort ein unglaubliches Potential, weil es dort sehr große Familien gibt. Aus diesem Potential kristallisiert sich dann die Gruppe. Wir arbeiten mit etwa 200 Kindern und Jugendlichen, und auf internationale Tournee fahren dann etwa 15 davon und 5 Musiker, die die Leitmusik dazu machen. Wenn man nicht diesen Anstoß geben würde, würden diese Talente nie entdeckt werden.
Manche bleiben dabei…
… und manche suchen sich dann andere Berufe, gehen zur Universität. Sie sind auf jeden Fall sehr gestärkte Menschen.
Wie finanziert sich das?
Das ist immer ein ziemliches Kopfzerbrechen. Wir haben in Costa Rica selbst keine finanzielle Unterstützung, aber das Wohlwollen vom Kulturministerium und vom Erziehungsministerium. Das ist schon viel wert, etwas dass sie den Jugendlichen jetzt im Schulbetrieb freigeben, um eineinhalb Monate nach Europa zu kommen. Wir haben ein sehr großes Netz in der Schweiz, Deutschland und Österreich, von Freunden, und über dieses Netz sammeln wir dann für die Tournee und den Trainingsbetrieb in Costa Rica. Das ist unsere Stärke. Aus diesem Netz kommen dann auch die Freiwilligen, die mit uns die Trainingsarbeit machen. Das ist auch ein sehr großer Pfeiler unseres Projekts.
Wie erlebst du als Auslandsösterreicher und als jemand, der sozial engagiert ist die österreichischen Wahlen und das Geschehen drum herum?
Ich hab es ehrlich gesagt als etwas traurig erlebt und auch in dem Sinn, dass jetzt Dinge in Österreich passieren also Dinge, bei denen hätte man früher noch aufgeschrieben und heute schreit man nicht mehr auf. Das hat mich schon etwas traurig gestimmt, in unserem Land.
Wie ist die politische Situation in Costa Rica?
Momentan haben wir eine Quereinsteiger-Partei, die ganz überraschend bei der letzten Wahl an die Macht gekommen ist. Sie nennen sich Partido Acción Ciudadana, das ist eine linke Abspaltung von den Sozialdemokraten, sie haben gute Politik gemacht, sehr gute Umweltpolitik. Mit denen konnte man gut arbeiten. Leider kommen jetzt im April 2018 Wahlen, und die Chancen stehen leider nicht sehr gut für sie. Aber wir werden sehen.
Vielen Dank für das Gespräch!
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