„Ein Hotel, das Geschichten erzählen kann“
Wiens erstes Nullenergie-Hotel besticht mit Photovoltaik, Fassadenbegrünung, Biofrühstück und Atmosphäre. Die Chefin macht es aus Überzeugung und ist zugleich Präsidentin der Österreichischen Hotelvereinigung.
(cooppa, Hans Holzinger, 04.12.2018) Laut World Travel and Tourism Council (WTTC) macht die Branche an die 10 Prozent der Weltwirtschaftsleistung aus und zählt an die 313 Millionen Beschäftigte. Der Tourismus ist ein gutes Geschäft. Er kämpft aber auch mit Problemen: Überkapazitäten, vermeintliche Wachstumszwänge, Verlust an Einzigartigkeit, Massenabfertigung eben, nicht zuletzt häufig stressige Arbeitsbedingungen der im Tourismus Beschäftigten. Und gewichtig sind auch die ökologischen Probleme der Branche: Zerstörung von Naturräumen, hoher Ressourcenverbrauch und Emissionsausstoß. Stichwort: Klimabilanz von Flugzeugen und Kreuzfahrtschiffen.
2018 hat sich der WTTC der United Nations Climate Neutral-Initiative angeschlossen, um – wie es vorsichtig heißt – „seine Treibhausgasemissionen zu messen, soweit als möglich zu reduzieren und den Rest auszugleichen“. Den 150 Mitgliedern auf der ganzen Welt schlägt der WTTC das gleiche klimafreundliche Vorgehen vor. Angestrebt wird eine Reduktion der CO2-Emissionen von 50 Prozent der gesamten Reise- und Tourismusemissionen bis zum Jahr 2035, ist auf der UN-Homepage zum Klimaschutzübereinkommen von Paris zu lesen.
Pionierin in Wien
Das Vorhaben ist ambitioniert aber noch lange nicht realisiert. Der Tourismus braucht daher nachhaltige Vorbilder. Eines davon fand ich Wien mit dem weltweit ersten Stadthotel mit Null-Energie-Bilanz. Geführt wird es von einer Frau, die mit Leidenschaft und Engagement davon überzeugt ist, „dass man Häuser nur mehr so bauen kann“. Michaela Reitterer hat 2002 das Boutiquehotel Stadthalle nahe dem Westbahnhof von ihren Eltern erworben. Schon ihre Mutter, erzählt sie, habe sich für Umweltschutz interessiert und bereits 1998 das Hotel mit dem Österreichischen Umweltzeichen zertifizieren lassen. Als der Umbau anstand, entschied sich die junge Hotelbesitzerin, noch mehr zu wollen.
Im Zuge der thermischen Sanierung wurde eine Solaranlage am Dach montiert. Diese decke nicht nur den Warmwasserbedarf, sondern sei zugleich ein wirksamer Hitzeschutz für das Dachgeschoß. Der wilde Wein im Innenhof des Gebäudes wurde bei der Renovierung nicht einfach entfernt, sondern konserviert und wieder angebracht. „Keine kleine Herausforderung für die Handwerker“, so Reitterer im Gespräch im Empfangsfoyer des Hotels, das wie eine Art Wohnzimmer wirkt. Regenwassertanks für die Gartenbewässerung wurden installiert, die verwendeten Lebensmittel zu hundert Prozent auf „Bio“ umgestellt.
Als die Erweiterung des Hotels anstand, entschied sich Reitterer für einen modernen Zubau. Die knapp 100 Quadratmeter große Photovoltaikfassade dieses sechsstöckigen Komplexes versorgt seit 2009 gemeinsam mit dem 130 Quadratmeter großen Solardach am alten Gebäude und einer Wärmepumpe das gesamte Hotel mit Strom, Warmwasser und Heizenergie. Der hauseigene Brunnen liefert Kühlenergie und versorgt die Wärmepumpenanlage mit Grundwasser. Dieses Wasser wird im Sinne einer Kaskadennutzung anschließend für die Toilettenspülung verwendet. Ein ausgeklügeltes Lüftungssystem mit 90-prozentiger Wärmerückgewinnung sorgt für ein angenehmes Raumklima.
Nicht nur die Technik, auch die Atmosphäre überzeugt
Diese technischen Raffinessen sind beeindruckend und haben dem Hotel bereits zahlreiche Umweltauszeichnungen eingebracht. Doch nicht weniger beeindruckend und wohl noch faszinierender ist die Atmosphäre des Hauses. Der Bau besticht durch seine Verbindung von moderner Technik und Natur. Nicht nur der Innenhof, auch alle Fassaden und Dächer sind begrünt. An der Straßenfront wurden Gartentröge montiert, aus denen Efeu die Wände überzieht. „Wir waren nach der MA 48 (Anm.: Magistratsdirektion für Abfallwirtschaft, Straßenreinigung und Fuhrpark) das zweite Haus in Wien, dass sich über Fassadenbegrünung drüber traute“, erzählt Reitterer nicht ohne Stolz. Auf meine Frage, ob dies nicht mit sehr viel Aufwand verbunden sei, meint sie, dass der Aufwand lohne und Natur in der Stadt das Wohlbefinden einfach steigere.
Auch das Ambiente der Innenräume strahlt Wärme aus. Ökologie spielt auch hier eine wichtige Rolle. So wird bewusst altes Mobiliar runderneuert und erneut in Nutzung gebracht, wie die Sofasesseln, auf denen wir sitzend das Gespräch führen. In Zusammenarbeit mit der Universität für angewandte Kunst konnten sieben Zimmer bei der Renovierung im Upcycling-Stil eingerichtet werden, das heißt, nicht mehr verwendete Dinge werden einer neuen Nutzung zugeführt. So mutierte altes Besteck zu Kleiderhaken, Bücher, die Gäste zurückgelassen haben, dienen verklebt als Tischbein. Spielereien, könnte man denken. Doch die Summe der Maßnahmen und der ganzheitliche Ansatz machen den Wert von Pionierprojekten wie diesem Hotel aus. Nachahmer gewünscht.
Welche Gäste ihr Haus vornehmlich besuchen und wie sie ihre Werbung anlege, frage ich sie. Viele kommen, weil sie sich für das neue Öko-Konzept interessieren und einfach neugierig sind. Die meisten fühlen sich aber durch die Atmosphäre angesprochen. Gäste würden ihre Erlebnisse weitererzählen. Das Haus bekomme auch beste Noten auf den Hotelbuchungsplattformen, erzählt Reitterer. Als Geheimnis ihrer PR-Strategie nennt sie die Einzigartigkeit und Individualität: „Unser Haus kann viele Geschichten erzählen – vom Gebäude über die Einrichtung bis hin zu den Lebensmitteln, die zu 100 Prozent aus ‚Bio‘ und ‚Fairtrade‘ stammen“. Geschichten zu erzählen sei in einer Zeit der Gleichschaltung und des „Overtourism“ das Wichtigste, meint die Hotelfachfrau.
Mobilität ist selbstverständlich auch Thema im Haus. Derzeit würde sich die Anreise der Gäste zu gleichen Teilen auf Auto, Flugzeug und Bahn verteilen. Doch die ökologische Anreise wird belohnt. Wer sein Bahnticket vorweist, erhält 10 Prozent Rabatt. Und was man in den meisten Hotels vergeblich sucht – es gibt eine eigene Fahrradgarage. In Planung ist eine E-Tankstelle in Kooperation mit der Stadt Wien.
Tourismus als Weltbranche auf Öko trimmen?
2013 wurde Michaela Reitterer zur Präsidentin der Österreichischen Hoteliersvereinigung gewählt. Wie das, frage ich? „Es war etwas Besonderes“, meint die Hotelchefin lachend, die erste Frau und die erste Wienerin in dieser Position, doch ihr Konzept von Hotelführung und Touristikverständnis habe überzeugt. Es gäbe auch zahlreiche Kolleginnen und Kollegen, die sich ihr Hotel bereits angesehen haben. Zudem seien immer wieder Tourismusfachschulen zu Gast. Es existierten mittlerweile gute Vorzeigeprojekte etwa im Zusammenschluss der „Sleep Green Hotels“, das Ziel müsse aber sein, so Reitterer, das Hotelgewerbe insgesamt auf höhere Umweltstandards zu bringen. Es gäbe dafür externe Beratungen, man brauche aber den Mut, es anzugehen. Bei Hotelketten komme die Schwierigkeit dazu, dass die Errichter nicht zugleich die Betreiber sind und das Interesse der Investoren an hohen Umweltstandards begrenzt ist.
Dem Tourismus ist insgesamt ein Nachdenkprozess über seine Ausrichtung zu gönnen – weg von der Masse wieder hin zu mehr Individualität. Das Aufstöhnen von Tourismus-Hot Spots wie Venedig oder Hallstatt sind hierfür aktuelle Beispiele. Alternative Reiseanbieter wie fairreisen oder weltweitwandern können – und sollen – zu neuen Trendsettern werden. Nicht immer schneller für immer kürzere Zeit an immer weiter entfernte Orte zu jetten, sondern bewusstes Reisen ist angesagt. Das 79 Zimmer umfassende Boutiquehotel Stadthalle in Wien mit seinen grünen Lungen und in der Sonne glitzernden Solarpanelen zeigt wie andere Pionierprojekte auch, dass Tourismus ökologisch ausgerichtet werden kann und es lässt spüren, was es heißt, wirklich Gast zu sein.
Links:
Das Problem „Overtourism“ nimmt zu. Siehe hier:
https://www.faz.net/aktuell/reise/tourismus-in-berlin-kein-herz-fuer-touris-bei-den-berlinern-15917610.html
Zu viele Touristen : Den Berlinern reicht’s
Manche Touristen übernachten für 8,50 Euro, trinken Bier vor dem Spätkauf und geben auch sonst kaum Geld aus. Viele reden von „Overtourism“. Und Berlin ist nicht die einzige europäische Metropole, die unter dem Andrang ächzt.
Von Thomas Lindemann
-Aktualisiert am 02.12.2018