Lässt sich eine nachhaltige digitale Wirtschaft umsetzen und was verbirgt sich hinter „Bioökonomie“?

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Vorbericht zu zwei Workshops der Wachstum im Wandel-Konferenz am 14. und 15. November 2018 in Wien.

(cooppa, Hans Holzinger, 02.11.2018) Drei Milliarden Suchanfragen verzeichnet Google mittlerweile pro Tag. Der Online-Handel boomt. Auf Knopfdruck lassen sich Dinge aus aller Welt bestellen und ebenso einfach bezahlen, vorausgesetzt die Kreditkarte ist nicht leer. „Die digitale Wirtschaft ist der Höhepunkt der Explosion der Verbraucher-Konnektivität“, so lautet die zentrale These eines Workshops bei der internationalen Tagung „Growth in Transition“ (Wachstum im Wandel), die vom 14.-15. November 2018 in Wien stattfindet und unterschiedliche Aspekte eines Wandels hin zu nachhaltigen Gesellschaften thematisiert. Im vorliegenden Workshop werden die Chancen und Risiken der Digitalisierung und ihre Veränderung des Handels behandelt.

Zum Beginn ein paar Zahlen: Die Hälfte der Weltbevölkerung ist mittlerweile online, ein Drittel befindet sich in einem sozialen Netzwerk und 53 Prozent sind mobil. Google und Facebook machen 90 Prozent ihrer Gewinne, in dem sie Daten für Onlinewerbung zur Verfügung stellen. Amazon, jener Konzern, der knapp ein Drittel des weltweiten Onlinehandels ausmacht, wuchs von 17.000 MitarbeiterInnen im Jahr 2007 auf 556.000 im Jahr 2017. Der Umsatz stieg allein von 2017 auf 2018 von 38 auf 53 Mrd. Dollar, wie einem Bericht in DIE ZEIT vom 23.8.2018 zu entnehmen ist. 5 Milliarden Pakete wurden von Amazon allein im Jahr 2017 versandt. Um seine Monopolstellung zu festigen, arbeitet der Konzern an eigenen Zustelldiensten, selbstfahrende Fahrzeuge sollen dabei zum Einsatz kommen. Auch mit Zustelldrohnen wird experimentiert.

Das Besondere an der digitalen Revolution ist ihre Geschwindigkeit

Technologische Veränderungen hat es immer gegeben – seit der Erfindung des Pfluges. Und diese haben immer die Lebensverhältnisse der Menschen verändert. Historisch einmalig an der digitalen Revolution ist jedoch die Geschwindigkeit, mit der sie sich vollzieht. Auf das Jahr 1943 wird die angeblich von IBM-Chef Thomas J. Watson stammende Aussage „Ich glaube, es gibt einen weltweiten Bedarf an vielleicht fünf Computern“ datiert. Heute werden pro Sekunde sieben neue PCs von den Fließbändern gelassen. Der Computer hat nicht nur die Wirtschaftsabläufe revolutioniert, sondern ist auch zur Normalität jedes Haushalts geworden. Nutzten 1996 erst 9 Prozent der ÖsterreicherInnen das Internet, so waren es 2017 86 Prozent. Und Internet ist nicht (mehr) nur Thema der Jungen: Immerhin 55 Prozent der über 65-Jährigen nutzen dieses in Österreich, in Dänemark sind es 85 Prozent. Im Land der Dänen bekommt jedeR ab dem 15. Lebensjahr ein „e-boks“, über welches alle Behördenakte abgewickelt werden. In Estland ist e-Government bereits zur Gänze umgesetzt.

Revolutioniert wird auch das Finanz- und Zahlungswesen. Die Proteste gegen die Einführung des Papiergeldes im 19. Jahrhundert konnten diese nicht verhindern, beim Übergang in die „bargeldlose Gesellschaft“ im 21. Jahrhundert wird es ähnlich sein. 100 Prozent der Finnen nutzen bereits Onlinebanking, in Österreich sind es erst 55 Prozent. Doch nicht nur der Onlinehandel nimmt rasant zu, auch das bargeldlose Zahlen an der Kasse wird zur neuen Normalität. Der Code der Kreditkarte kann mittlerweile per Funk identifiziert werden. Das Zahlen per Handy-App ist ebenso bereits möglich. Banken werden zu digitalen Plattformen umgebaut.

Zweifelsohne werden Digitalisierung und Künstliche Intelligenz die Arbeitswelt stark verändern. Den menschenleeren Fabriken folgen automatisierte Dienstleitungen. Der Pflegeroboter ist dabei nur ein sehr auffallendes, aber keineswegs das wichtigste Beispiel. Vom digitalen Büro mit immer neuen Tools wie Intranet, Cloudcomputing oder Telekonferenzen bis hin zu „E-Health“ (Computer helfen Kriankheitsdiagnosen und Therapievorschläge zu erstellen), „Roborichter“ (die Empfehlungen für Gerichtsurteile geben) oder „Roborecruiting“ (computergestützte Personalauswahl) reichen die Zukunftspläne. Der Auslagerung von Dienstleistungen wie Buchhaltung oder Callcenters folgen die Möglichkeiten des Crowd- oder Clickworking. Unternehmen vergeben Aufträge an Freelancer über digitale Plattformen. Die Politik ist gerade dabei, etwa auf EU-Ebene, diese neuen Arbeitsformen der Digitalökonomie sozialrechtlich abzusichern.

Der Sozialwissenschaftler Philipp Stab sieht neben der weiteren Zerstückelung von Arbeitsvorgängen („digitaler Taylorismus“) den größten Treiber der Digitalökonomie jedoch in der Perfektionierung der Kundenbindung, etwa durch „individualisierte Produktion“ und „individualisierte Werbung“, um die „letzten Nachfragereservoirs“ eines weitgehend gesättigten Marktes auszunutzen. Kolportiert wird, dass Amazon Kunden bereits Dinge zustellt, die diese gar nicht bestellt haben, von denen der Konzern aber aufgrund des Nutzerprofils annimmt, dass sie sich dafür interessieren könnten.

Diese neue Form der Kundenbeziehung ist ein zentrales Thema der Session mit einer hochkarätigen Runde aus Wissenschaft und Praxis. Elemente der digitalen Wirtschaft – wie das Online-Shopping -, die damit verbundenen Möglichkeiten und die damit verbundenen Auswirkungen etwa auf den Energiebedarf werden diskutiert. So verbraucht allein ein Google-Rechenzentrum so viel Energie wie eine mittelgroße Stadt. Freilich gibt es auch Hoffnungsfelder, in den Digitalisierung unmittelbar zu mehr Nachhaltigkeit beitragen soll. Etwa im Bereich eines verbesserten Stoffstrommanagement – Stichwort „Urban Mining“ – oder in der besseren Erfassung globaler Umweltdaten.

Der Workshop stellt die Frage, ob die Chance besteht, eine nachhaltige digitale Wirtschaft zu gestalten, oder ob diese nur darauf aus ist, weiter an der Produktions- und Konsumspirale und damit auch am Verbrauch von Ressourcen zu drehen.

Spannendes Panel, in der Wissenschaft und Praxis auf einander treffen

Es diskutieren Marcel Haraszti, Vorstandmitglied bei REWE International AG,  Steffen Lange, Forscher am Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW),  Patrick Kessler, Präsident des Verband des Schweizer Versandhandels (VSV), Gilberto Camâra, Director des Group on Earth Observations (GEO) Sekretariats, Pille Pruulmann-Vengerfeldt, Professor für Medien und Kommunikation an der Universität Malmö sowie Julia Stone, Director of Digital and Innovations, BILLA AG.

Steffen Lange vom IÖW arbeitet gerade an einem Forschungsprojekt „Digitalisierung und sozial-ökologische Transformation. Rebound-Risiken und Suffizienz-Chancen der Digitalisierung von Dienstleistungen.“ Zwei Fragen wird darin nachgegangen:  1) Unter welchen Bedingungen und mit welchen genauen Wirkungsmechanismen führen die erwarteten Effizienz- und Produktivitätsfortschritte der Digitalisierung von Dienstleistungen zu einer Expansion der Nachfrage und wirken somit einer hinreichenden absoluten Entkopplung des Wirtschaftswachstums vom Naturverbrauch entgegen? 2) Unter welchen Bedingungen kann die Digitalisierung ihr Potential zur nachhaltigeren Gestaltung von Konsummustern und zur Demokratisierung der Wirtschaft unter Berücksichtigung von Genderaspekten entfalten, und welche Gestaltungsansätze und Steuerungsinstrumente können dies befördern? Es wird spannend, was der Nachhaltigkeitsökonom zu berichten hat.

Marcel Haraszti ist bei REWE International u.a. zuständig für Unternehmenskommunikation und Nachhaltigkeit. Gemeinsam mit Julia Stone, die sich bei der BILLA AG um digitale Innovationen kümmert, wird er auf die Veränderungen im Lebensmittelhandel durch die neuen Anwendungsmöglichkeiten der Digitalisierung eingehen. So ist 2017 BILLA Österreich in den Onlinehandel für Lebensmittel eingestiegen. Über ein Food Fulfillment Center werden online bestellte Waren nach Hause geliefert. Neben nachhaltigen Produkten setzt die REWE-Group, zu der neben BILLA auch MERKUR, PENNY, BIPA, ADEG, AGM und Sutterlüty in der Schweiz gehören, auch auf Energieeffizienz und Klimaschutz. Bis 2022 sollen die CO2-Emissionen des Unternehmens halbiert werden (Basisjahr 2006). Auch darüber wird im Panel berichtet.

Patrick Kessler führt seit 2008 den Verband des Schweizerischen Versandhandels. Die 250 angeschlossenen Mitglieder repräsentieren mit ihren Umsätzen ca. 60 Prozent des Schweizer Online-Handelsvolumens. Sie generieren – so ist der Homepage zu entnehmen – jährlich rund 30 Millionen ausgehende Pakete und nehmen mehr als 5 Millionen Retourensendungen zurück. Der Verband setzt sich politisch und wirtschaftlich für die Interessen seiner Mitglieder ein. Es wird spannend sein, wie Kessler als Praktiker des Onlinehandels dessen Zukunft und ökologische Implikationen einschätzt.

Group on Earth Observations (GEO), für die Gilberto Camara seit vielen Jahren arbeitet und der er seit 2018 als Direktor vorsteht, ist eine Partnerschaft von mehr als 100 nationalen Regierungen und mehr als 100 teilnehmenden Organisationen, die sich – so die Eigendefinition – „eine Zukunft vorstellen, in der Entscheidungen und Maßnahmen zum Wohle der Menschheit durch koordinierte, umfassende und nachhaltige Erdbeobachtungen beeinflusst werden.“ Camara wird in die Diskussion am Panel einbringen, welche Möglichkeiten Geoinformatik für die Erreichung (und Überwachung) der Ziele der Nachhaltigkeit bietet. Er kann dabei auf Erfolgsbeispiele in seinem Heimatland Brasilien verweisen, mit denen es ihm gelungen ist, die Entwaldung des Amazonas-Regenwaldes einzudämmen. Zudem hat Camara mit einem Forschungsteam die zukünftigen Emissionen Brasiliens aus Landnutzung und Landwirtschaft berechnet.

Pille Pruulmann-Vengerfeldt ist Professorin für Kommunikation und Medien an der Malmö University, hier passend in einem Youtube-Videoporträt vorgestellt. Sie ist Mitglied des „Digitalizing Society Research Network“, in dem Forscher und Forscherinnen aus einer Vielzahl von akademischen Disziplinen, darunter Technik, Ingenieurwesen, Geisteswissenschaften, Kunst, Design und Sozialwissenschaften, zusammenarbeiten. Ziel ist es, Fragen der Digitalisierung aus verschiedenen Perspektiven zu untersuchen. Die Malmö University möchte im Bereich der Digitalisierung führend sein, indem sie – so das selbstdefinierte Ziel – „kritische Analysen, nachhaltige technische Lösungen, erfolgreiche Forschungsmethoden und die Entwicklung relevanter Szenarien und Modelle für die Beteiligung und das Engagement des Menschen anbietet.“ Pruulmann-Vengerfeldt wird Forschungsfelder und Erkenntnisse des finnischen Projekts in die Diskussion einbringen und damit zeigen, welche Aufgaben auch den Gesellschaftswissenschaften in der Begleitung der Digitalisierung zukommt.

Die vom Österreichischen Ministerium für Nachhaltigkeit und Tourismus gemeinsam mit REWE International ausgerichtete Session „Digitalisation and Environment“ wird am ersten Konferenztag, den 14. November 2018, von 13.45-15.45 als eine von acht Parallel Sessions stattfinden.

Was ist Bioökonomie und was soll diese zu Nachhaltigkeit beitragen?

Ebenfalls mit Innovation, jedoch in ganz anderer Art, beschäftigt sich die Session „Bioeconomy – Designed by all of us“. Bioökonomie bezeichnet die Transformation von einer erdölbasierten Wirtschaft hin zu einer Wirtschaft, die ausschließlich mit nachwachsenden Rohstoffen auskommt. Die Bioökonomie umfasst damit zahlreiche Sektoren, wie beispielsweise die Land- Forst- und Fischereiwirtschaft, die Nahrungsmittelindustrie, die Holz- und Papierindustrie, aber auch die Biotechnologie und andere Verfahrenstechnologien sowie Teile der Chemie-, Textil und Energieindustrien. Während sich der Begriff „Bioökonomie“ auf eine auf natürlichen biotischen Ressourcen basierende Ökonomie bezieht, lasse seine genaue Bedeutung viel Interpretationsspielraum, so dass verschiedene Menschen in Bezug auf das Konzept von sehr unterschiedlichen Dinge sprechen, meint Rosemarie Stangl, Professorin für Bodenbiotechnik und Landschaftsbau, an der Universität für Bodenkultur Wien.  Basierend auf der verwendeten Definition würden die auftretenden Implikationen in ihrem Umfang erheblich variieren.

In dem von Prof. Stangl geleiteten und von Ines Omann, Senior Researcher am Institut für ökologische Ökonomie an der Wirtschaftsuniversität Wien moderierten Panel soll ein umweltfreundlicher und sozial integrativer Ansatz von Bioökonomie vorgestellt und eine Definition als notwendige Voraussetzung für ein gemeinsames Verständnis angeboten werden, um eine fruchtbare Debatte über Bioökonomie auszulösen. Dabei sollen auch mögliche Konflikte bei der Nutzung knapper Ressourcen identifiziert und Herausforderungen, Risiken sowie Chancen für nachhaltige Wege zum Begriff der biobasierten Wirtschaft diskutiert werden. Darüber hinaus sollen die Teilnehmer gebeten werden, ihren individuellen Beitrag und ihr Verständnis einzubringen, wie eine nachhaltige Bioökonomie aussehen kann.

Rosemarie Stangl arbeitet aktuell an einem Forschungsprojekt „Urban Vertical Greening 2.0: Vertical greening for livable cities – co-create innovation for the breakthrough of an old concept“,  das andeutet, was die Expertin unter „Bioökonomie“ versteht. Vertikale Begrünung wird derzeit auch an einem konkreten Wohnhochhaus-Projekt in Wien von der BOKU begleitet.

Die Session findet am Tag 2 der Konferenz, am 15. November 2018, von 14.00 bis 15.30. Organisiert wird sie gemeinsam vom Ökosozialem Forum, der Wirtschaftsuniversität Wien, dem Zentrum für soziale Innovation sowie der Universität für Bodenkultur Wien.

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