Die Transformation wird kein Spaziergang
POLFREE steht für Policy Options for a Ressource-Efficient Economy. Und damit ist das Forschungsvorhaben der Europäischen Union schon ziemlich gut beschrieben.
Anders formuliert: Wie kommt man zu einer ressourcen-effizienten Wirtschaft (und Gesellschaft) im Jahr 2050? Welche Politikinstrumente, Triebkräfte und Rahmenbedingungen braucht es dafür? Und weil es nicht den einen, den Königsweg gibt, haben die Wissenschaftler gleich drei Zukünfte entwickelt.
„Intensives Nachdenken ist nicht genug“, sagt Bernd Meyer, „Man braucht auch Werkzeuge wie Computermodelle. Der Computer ist mittlerweile ein Teil meines Gehirns, er hilft mir beim Denken.“ Bernd Meyer ist Wirtschaftwissenschafter aus Osnabrück und einer der führenden Experten, wenn es um Modelle für die globale Ökonomie geht. Der Aufwand ist erheblich. Schließlich findet die reale Wirtschaft in vielerlei Branchen und Ländern statt. Sie alle sind über den Handel miteinander verzahnt. Hinzu kommen die Menschen in ihren Familien und Haushalten mit unterschiedlichen Präferenzen und Gewohnheiten. All das ist äußerst komplex. Ohne Computer sei da nichts zu machen, sagt Meyer.
Bevor es daran geht, verschiedenen Zukünfte zu berechnen, muss das Computermodell erst einmal „geeicht“ werden. Es beschreibt eine Entwicklung bis zur Mitte des Jahrhunderts nach der Vorgabe „alles läuft wie bisher“. Die globale Bevölkerung wird bis 2050 um etwa 40 Prozent zunehmen. Auch die Wirtschaft wächst. Landwirtschaftlich genutzte Flächen lassen sich aber nicht beliebig vergrößern.
Business-as-usual führt in eine instabile Welt
Nach Meyers Berechnungen kommt es in einem Business-as-usual-Szenario zu einer erheblichen Verteuerung der Lebensmittel. Nicht nur in Entwicklungsländern und aufholenden Ökonomien, sondern auch in Industrieländern. Ärmere Menschen müssen deutlich mehr von ihrem Einkommen für Nahrungsmittel ausgeben. Was wiederum dazu führt, dass die Konsumenten weniger Geld für andere Dinge übrig haben, zum Beispiel für Wohnen, Mobilität oder Unterhaltung. In diesen Branchen ist die Wertschöpfung aber tendenziell größer als in der Landwirtschaft. In der Folge wächst die globale Wirtschaft langsamer. Hinzu kommt die Erschöpfung der Ökosysteme. Ein Business-as-usual führt in eine instabile Welt mit dramatischen Problemen.
Wie könnte eine bessere, nachhaltige Welt aussehen?
Der nächste Schritt der Wissenschaftler ist der Entwurf verschiedener Szenarien. Wie könnte denn eine andere, eine bessere, eine nachhaltige Welt aussehen? Um diese Frage zu beantworten, wurden Ziele definiert: für den Verbrauch von Wasser, von biologisch aktiven Flächen, von Material allgemein, eine eigene Kategorie bildet der CO2-Ausstoß. Alle diese Ziele sind ambitioniert, sowohl für die Welt als Ganze wie für die EU. Klimagase zum Beispiel sollen bis 2050 in Europa um 80 bis 95 Prozent reduziert werden.
Schließlich haben sich die Wissenschaftler daran gemacht, Wege in Richtung auf diese Ziele zu beschreiben. In den Computermodellen werden „policy options“ durchgespielt, um zu zeigen, welche Steuer- oder Preissysteme beispielsweise benötigt werden, um die jeweiligen Szenarien „ans Laufen“ zu bekommen. Die Hoffnung dabei ist, aus den Modellen Aufschlüsse über den realen Politikbetrieb zu gewinnen.
Drei sehr unterschiedliche Szenarien
1. „Global Cooperation“ unterstellt, dass die Staatengemeinschaft näher zusammenrückt. Klima- und Umweltfragen werden von mächtigen Institutionen gesteuert. Auch die weltweiten Finanzmärkte sind stärker reglementiert. Die Europäische Union ist in diesem Szenario stark und handlungsfähig. Die Menschen an der Basis dagegen verhalten sich eher passiv, ihre Lebensstile werden durch die Rahmenbedingungen, z.B. ökologisch angemessene Preise, bestimmt. Auch neue Technik hilft: leistungsfähige Batterien, Brennstoffzellen oder intelligente Stromnetze. So wird insbesondere der Verkehr umweltfreundlicher. Unterm Strich verbrauchen die Menschen 2050 in Europa deutlich weniger Energie und Ressourcen.
2. „Europe leads“ beschreibt eine Welt, in der die globale Integration weniger gut gelingt. Aber Europa bleibt stark. Auch dieses Szenario beschreibt ein Top-Down-Modell, indem die politischen Institutionen, aber auch Unternehmen und NGOs, aktiv werden – die Bürger werden eher „mitgenommen“. Die EU exportiert umweltfreundlichere Technologien, und so werden auch in „Europe leads“ die globalen Klimaziele erreicht. Im Jahr 2050 gibt es in Europa ein dichtes Netz von Hochgeschwindigkeitszügen. Auch Autos werden überwiegend mit Strom betrieben. Sogar die Gebäudeheizung wird elektrisch gespeist. Im Nahrungsbereich spielt Fast Food nach wie vor eine große Rolle, dabei ist das Angebot hoch individuell. Regionale Anbieter bilden das Rückgrat der Versorgung.
3. Das dritte Szenario schließlich führt in eine Welt, in der die Institutionen schwach, die Bürger dagegen stark sind. Vereinbarungen auf globaler und europäischer Ebene kommen kaum voran – weder beim Klima, noch bei der Ressourceneffizienz. Während andere Länder nach wie vor auf Wirtschaftswachstum setzen, geht Europa einen anderen Weg. Das Bruttoinlandsprodukt als zentrales Messinstrument für wirtschaftlichen Erfolg wird durch verschiedene Indikatoren zu den Themen Gesundheit und Glück sowie einem individuellen ökologischen Rucksack abgelöst. Neben dem Euro haben lokale Währungen eine erhebliche Bedeutung. Im Jahr 2050 gehen viele Europäer nicht mehr ausschließlich einer regulären Beschäftigung nach, sondern sind sie auf vielfältige Weise ehrenamtlich tätig, sei es im Gesundheitswesen oder in regionalen Initiativen. Bei den Nahrungsmitteln ist Regionalität Trumpf. Viele Schulen haben wieder eigene Gemüsegärten.
Jedes dieser Szenarien repräsentiert so etwas wie die ideale Ausprägung einer Strategie. Allerdings erwartet niemand, dass die reale Entwicklung von Europa und der Welt sich exakt an eines dieser Drehbücher hält. Eher wird es einen Mix aus allen drei Szenarien geben.
Vielleicht wird die Zukunft aber auch ganz anders
Sinn und Zweck der Szenarien ist es, positive Zukünfte durchzuspielen. Um zu sehen, ob es überhaupt funktioniert und wenn ja, wie es denn gehen könnte.
Noch sind die POLFREE-Szenarien nicht im Detail entwickelt. Aber dramatische Verbesserungen der Ressourceneffizienz sind möglich, und zwar für alle drei Entwicklungslinien. Das ist ein zentrales Ergebnis, wie es Paul Ekins vom University College London formuliert.
Die Verbesserungen sind technisch und ökonomisch darstellbar und die Lebensstile, die sich daraus für die Bürger ergeben, attraktiv. Für die Politik und die Gesellschaft hat POLFREE eine doppelte Botschaft: „Yes, we can“ – aber Politik und Gesellschaft müssen es auch wollen, so Ekins.
Eine ressourceneffiziente Gesellschaft, welcher Spielart auch immer, kommt nicht von alleine. Sie erfordert einen entschiedenen politischen Willen und die praktische Schritte: Steuern, möglicherweise die Anschubfinanzierung bestimmter Technologien, dazu Information, Aufklärung etc.
Es wird Gewinner und Verlierer geben. So viel ist den Machern von POLFREE heute bereits klar: Die Transformation wird keine Spaziergang.
Mehr zu POLFREE unter polfree.seri-netzwerk.at (englisch)