Wie ein Versehen den alten Bauernhof zurück ins Leben holt

Beitrag teilen

Seit 50 Jahren steht Marlenes Bauernhof in Niederösterreich leer. Nur in ihrem Erdkeller sprießt das Leben. Wie ein Heimprojekt durch ein Versehen zur Pilzfarm wurde.

Der Bauernhof der 98-Jährigen Marlene steht seit 50 Jahren leer. Früher gab es hier Stiere und Schweine, Hühner, Haflinger und zwei Hektar Land. Auf das Hofleben kann man heute nur noch schemenhaft schließen. Die Felder werden verpachtet, die Stallungen stehen leer und auf dem Hausacker ist heute ein kleiner Garten mit Obstbäumen. Seit Jahrzehnten fegt die alte Frau die leeren Böden der Ställe und befreit die Fenster von Staub und Spinnweben. Wo früher große Maschinen standen, parken heute abgedeckte Autos und Wohnwägen. Durch die Vermietung der Stellplätze frischt Marlene von Zeit zu Zeit ihre Pension auf.

Der alte Bauernhof ist sehr gut gepflegt, kein Unkraut sprießt durch die Fugen des betonierten Bodens und auch sonst kann man das Hoftreiben vergangener Tage nur erahnen. Die betonierten Futtertröge, der zweistöckige Hühnerstall oder die Eisenarmaturen zum Anbinden der Stiere. Von Landwirtschaft keine Spur mehr. Nur in dem alten Erdkeller lebt es.

Der größte Organismus der Welt wächst hier. Unter der Erde verbindet er alles Leben miteinander und spannt ein hektarweites Netzwerk, durch das Pflanzen Informationen miteinander austauschen. Er macht damit 80% der irdischen Biomasse aus und setzt in einem biblischen Ablauf aus Tod und Wiedergeburt den Lauf des Lebens in Gang. Die Rede ist von dem Myzel. In der Natur und in Marlenes Erdkeller ist es nur sichtbar, wenn man genau hinsieht. Zu erkennen ist es nämlich nur an seinem Fruchtkörper: dem Pilz.

Igelstachelbart in der Fruchtungsphase

Ein Versehen und 66 Kilo Pilz-Substrat

Marlenes Enkelin Anna und ihr Partner Julian hatten die sprießende Idee: Pilze selbst anbauen im eigenen Keller. Eigentlich gar nicht so schwierig, sagt Julian. Ein Zelt mit der richtigen Temperatur, Luftfeuchtigkeit und einem CO2-Messgerät bietet die optimalen Bedingungen für das Pilzwachstum. In der Natur bieten der Waldboden oder Baumstämme einen idealen Nährboden für das Pilzmyzel. In einer Pilzzucht muss man erfinderisch werden. Substrat-Säcke aus Holzspänen oder Stroh sollen das natürliche Milieu so gut wie möglich imitieren. Eigentlich hätte alles nur ein kleines Heimprojekt werden sollen.

Doch schon bald wird der Hauskeller den beiden durch einen Zufall zu klein. „Wir haben versehentlich Pilzmyzel für 66 Kilogramm Substrat bestellt, weil es im Angebot war. Daraufhin mussten wir das Ganze sehr schnell viel größer denken“, erinnert sich Anna. „Alles ist so schnell gegangen, wir haben noch nicht mal einen Namen oder eine Webseite für unsere Pilzzucht “, schmunzelt sie. Damit das bestellte Myzel rechzeitig sprießen kann, muss alles sehr schnell gehen. Das Paar kauft zwei große Zelte, eine 150 Kilo schwere Laborbank und einen Autoklav zum Sterilisieren der Substratsäcke und stellt alles zusammen in den Erdkeller und die leeren Ställe von Marlene. Die ist freut sich über das versehentlich bestellte Myzel: „Endlich gibt es wieder eine Landwirtschaft auf meinem Hof.“

Vom Myzel zum fertigen Pilz

Das Substrat machen die beiden selbst, ganz im Sinne der Kreislaufwirtschaft. Dazu holen sie altes Stroh von einem befreundeten Bauern, füllen es in die Substratsäcke, beimpfen die Säcke mit dem Pilzmyzel und sterilisieren sie mithilfe von Druck und Hitze in dem Autoklav. Das ist wichtig, denn genau ein Pilz soll auf dem Substrat nicht wachsen: Der Schimmelpilz. Ein unerwünschter Gast in jeder Pilzzucht und nur durch das Sterilisieren zu verhindern. Befallene Substratsäcke müssen ganz aussortiert werden, was in dem kühlen, feuchten Klima der Pilzzucht ansonsten des Öfteren zu hohem Ausschuss führt.

Nachdem die Substratsäcke beimpft sind, beginnt die Inkubationsphase. In knapp zwei Wochen frisst sich das Myzel durch das Substrat. „Die idealen Bedingungen für das Wachstum sind ca. 20 Grad“, erklärt Julian. Weil Pilze CO2 erzeugen, wird das Gas durch einen Abluftschlauch aus dem Zelt geleitet. Nach den zwei Wochen werden die Säcke angeschnitten und in den Fruchtungsraum gebracht. „Jetzt gelangt Sauerstoff an das Substrat und das Myzel weiß, dass es einen Fruchtkörper bilden soll“, sagt Julian im pink beleuchteten Zelt. Nach knapp einer Woche können Anna, Julian und Marlene ernten: Pioppinos, Austernseitlinge, Enokis und den Igelstachelbart gibt es dieses Mal.

Mehr als ein Lebensmittel: Pilze als Baumaterial

Pilze sind nicht nur ein Lebensmittel, das wenige Ressourcen in der Herstellung benötigt, es eignet sich auch ideal als Fleischersatz. „Pilze haben eine ähnlich fasrige Struktur wie Fleisch und diesen deftigen Umami-Geschmack, den man auch vom Fleisch kennt“ erklärt Anna. Kein Wunder also, dass Pilze auch von der Industrie nach und nach als natürlicher und heimischer Ersatz für sehr ressourcenintensive Fleischprodukte entdeckt werden.

Aber das Potenzial der Pilze ist damit nicht ausgeschöpft. Viel Forschung, unter anderem von Frauenhofer Institut beschäftigt sich zur Zeit mit dem Myzel als Baumaterial. Ist das Substrat einmal von dem Pilzmyzel durchwachsen, weist es eine sehr dichte Struktur auf. Es kann in jede beliebige Form gepresst und zum Beispiel als Dämmmaterial genutzt werden. So wird ein Abfallprodukt zur Ressource und kann andere Materialien wie Styropor oder Sperrholz ersetzen.

Und auch Anna und Julian ist der Kreislaufgedanke wichtig. „Weil Pilze CO2 abgeben und Pflanzen CO2 für ihr Wachstum brauchen, wollen wir in Zukunft die Pilzzucht mit einer Algenzucht kombinieren“, erzählt Anna. Chlorella-Algen setzen das Gas besonders effizient in Wachstum um und eignen sich besonders gut als Superfood für uns Menschen oder als Dünger für Pflanzen. So könne erzeugtes CO2 sinnvoll genutzt werden, erzählt das Paar. Und auch der Strom für Autoklav und co. soll in Zukunft über die Photovoltaik-Anlage am Dach bezogen werden. „So haben wir unseren eigenen geschlossenen Kreislauf für unsere Pilzzucht“, sagt Anna zufrieden.

Pilze im Ab-Hof Verkauf

Die Pilzfarm in Marlenes Erdkeller mag durch einen Zufall entstanden sein. Wachsen wird das Jungunternehmen aber mit Hinwendung, Engagement und harter Arbeit. Nicht zuletzt hat der Zufall dazu geführt, dass der Hof der 98-Jährigen seit Langem wieder mit Leben gefüllt ist. Von den 66 Kilo Substrat ist nicht mehr viel übrig, die Ernte daraus gibt es im Direktvertrieb zu kaufen. Hauptabnehmer ist der Hofladen in Zwölfaxing, wo es auch bis heute die Pilze von Anna, Julian und Marlene zu kaufen gibt.

Autorin: Olivia Leth, 20. Oktober 2022

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert