Verteidigung der überbetrieblichen Lehre
(cooppa, Daniela Castner, 07.05.2018) Zum Beispiel Thomas. 16 Jahre alt, schwer übergewichtig, kränklich, müde, hoffnungslose Augen: gewohnt, das Mobbingopfer zu sein. Freunde nur im Internet.
Ein Jahr lang hatte er versucht, einen Lehrplatz als Koch zu finden, hatte Bewerbungen verschickt, war von Restaurant zu Restaurant gehatscht, vergeblich, kein Betrieb wollte ihn haben. Niemand wollte ihn haben?
Seine Rettung war das AMS, das so oft gescholtene Arbeitsmarktservice, das österreichische Pendant zur deutschen Bundesagentur für Arbeit. Thomas kann seinen Lehrabschluss mit Hilfe einer überbetrieblichen Lehrstelle erwerben. Eine überbetriebliche Lehre, das bedeutet, gemeinsam mit anderen auf dem Arbeitsmarkt schwer vermittelbaren Jugendlichen dennoch eine qualitativ hochwertige Ausbildung absolvieren zu können. Unter der Führung erfahrener Lehrlingsausbildner, in gut ausgestatteten Werkstätten und unterstützt von Lehrern, die ihnen helfen, eventuelle schulische Defizite aufzuarbeiten, um auch die Berufsschule positiv abschließen zu können.
Mit diesen Worten bewirbt das AMS die überbetriebliche Lehre:
„Sie sind auf der Suche nach einer betrieblichen Lehrstelle, aber trotz aller Bemühungen Ihrerseits lässt sich kein Betrieb finden, der Sie als Lehrling aufnehmen möchte? Dann haben Sie trotzdem die Möglichkeit, Ihr Ziel – den Lehrabschluss – zu erreichen: Alle beim AMS vorgemerkten Lehrstellensuchenden mit abgeschlossener Schulpflicht, die trotz intensiver Vermittlungsbemühungen keine geeignete Lehrstelle finden konnten oder die eine betriebliche Lehre abgebrochen haben…“
Verpflichtende Praktika in Betrieben, nach Möglichkeit mit Lehrstellenoption sind fester Bestandteil der Ausbildung.
Und da fast alle diese Jugendlichen durch schwierige Familiengeschichten belastet sind, gibt es für sie auch eine sozialpädagogische Begleitung, um sie in Krisen zu unterstützen. Nicht wenige werden durch das Jugendamt betreut und leben in Wohngemeinschaften, viele haben einen migrantischen Hintergrund und müssen mit sehr verschiedenen Wertewelten kämpfen, und alle sind dem pubertären Toben ihrer Hormone ausgeliefert.
Thomas? Heute? Er strahlt. Eine Erfolgsgeschichte. Nein, er ist nicht rank und schlank geworden in den zwei Jahren, die er inzwischen in der überbetrieblichen Ausbildung arbeitet, aber er betreibt Sport. Gemeinsam mit einigen seiner Klassenkameraden. Er hat einen Freund gefunden, mit dem er seine erste Reise ohne Erwachsene plant, und, das Wichtigste, er bekommt von Tag zu Tag mehr Anerkennung als Koch. Sein Praktikum in einem gutbürgerlichen Restaurant wurde auf Wunsch des Küchenmeisters verlängert, eine Lehrstelle in der „freien Wirtschaft“ winkt.
Und Thomas ist nicht der Einzige, der über den Umweg einer überbetrieblichen Lehre, die Jugendliche „jobready“ machen soll, eine Stelle auf dem „ersten Arbeitsmarkt“ gefunden hat.
Da ist Achmad, Asylberechtigter aus Afghanistan, der in den ersten beiden Jahren seiner Lehre so schwere Schlafstörungen hatte, dass er jeden Tag um Stunden zu spät in die Ausbildung kam. Da er sich aber geschickt und fleissig in der praktischen Arbeit zeigte (und sich gegen seine Schlafstörungen behandeln ließ), blieb der Ausbildner geduldig und kündigte ihm nicht.
Und statt als Sozialhilfeempfänger Geld vom Staat zu kassieren, arbeitet Achmad heute als Tischler in einem großen Betrieb, und erst einziges Mal ist er zu spät zur Arbeit gekommen.
Oder noch ein spektakuläreres Beispiel: Marcel. Am Anfang, ja, einer von diesen Jungen, vor denen man sich fürchten muß. Wegen Raubüberfall im Gefängnis. Nachdem er einen Teil seiner Strafe bei guter Führung verbüßt hatte, durfte er als Freigänger seine Lehre als Koch in einer überbetrieblichen Lehranstalt abschließen. Unterstützt von Seiten seiner Familie, von Seiten der Justizanstalt, Therapie, Antiaggressionstraining, unterstützt von Seiten des Sozialtherapeuten und unterstützt vor allem von seiner hochengagierten Ausbildnerin. Heute arbeitet Marcel in einem renommierten Restaurant, und seine Vorgesetzten sprechen mit Hochachtung über ihn. Er hat’s geschafft. Er hat sich gefangen.
Und die Mädchen? Rund ein Drittel Mädchen machen eine überbetriebliche Lehre, auch hier wieder die meisten mit migrantischem Hintergrund. Und das heißt für Mädchen oft eine noch strengere Teilung der Welt, in Wir und Ihr, bei Uns und bei Euch. So gibt es laut Aussagen der SozialpädagogInnen nicht wenige Mädchen, die eine Lehrausbildung vor allem deswegen machen, um für ein paar Stunden der elterlichen Kontrolle zu entkommen und ein wenig „Freiheit“ zu genießen. Dass diese ungewohnte Freiheit dann oft große Liebestragödien heraufbeschwört, ist nachvollziehbar. Und wenn auch viele dieser Mädchen später in die traditionelle Hausfrauenrolle zurückgedrängt werden sollen, ein Statement hört man immer wieder: meine Kinder werde ich einmal ganz anders erziehen. Offener, freier, und ich werde auch nicht mehr als zwei Kinder bekommen!
Dennoch, trotz vieler Schwierigkeiten, rund 50 % dieser Jugendlichen finden im Laufe der Ausbildung einen betrieblichen Lehrplatz, von den anderen schließen die meisten erfolgreich mit der Lehrabschlussprüfung ab.
Aber kein Zweifel, es ist teuer, diese absturzgefährdeteten, manchmal sogar gefährlichen Jugendlichen dabei zu unterstützen, einen guten Arbeitsplatz zu finden, beziehungsweise die Lehre in einer „ÜBA“ erfolgreich zu beenden.
16.425 Euro im Jahr kostet ein Ausbildungsplatz in solch einer überbetrieblichen Lehre. Zum Vergleich: Schulische Ausbildungen dieser Altersstufe kosten den Staat 10.282 Euro, eine betriebliche Lehre aber nur 6.392 Euro.
Aber was ist die Alternative? Ohne Integration in den Arbeitsmarkt fehlt nicht nur den Betroffenen sondern auch der Gesellschaft jegliche Perspektive und letztlich die Chance sozial wie wirtschaftlich von der Zuwanderung zu profitieren. Das würde letztlich mehr bringen als kosten.
Verschlechterung als politisches Kalkül?
Ein Kommentar von Daniela Castner
Fast 1400€ pro Monat für die Ausbildung von Flüchtlingen? Da stellt sich doch in Zeiten des Sparstifts für jeden mühsam hackelnden Bürger spontan die Frage: Warum soll die Gemeinschaft, warum sollen wir Steuerzahler dafür bezahlen müssen, dass Eltern ihre Erziehungsverantwortung aus welchen Gründen auch immer nicht wahrgenommen haben, dass Flüchtlinge Schlafstörungen haben, die sie am Arbeiten hindern, dass gewaltätige Burschen solange therapiert und gehätschelt werden müssen, bis sie endlich bereit sind, sich in ein ganz normales Arbeitsleben zu integrieren, und dass irgendwelche Kopftuchmädchen einmal in ihrem Leben ein bißchen Freiheit kosten dürfen?
Die sollen sich gefälligst anstrengen, diese Schwervermittelbaren, wie wir uns anstrengen mussten, wie wir uns immer noch anstrengen müssen, tagtäglich, Jahr für Jahr. Wir hatten auch alle eine schwere Kindheit, wer hatte die nicht! Wer hier bei uns zu wenig Eigeninitiative zeigt, der soll sehen, wo er bleibt!
Wir streichen einfach die Überbetriebliche Lehre, oder kürzen sie auf Bewerbungstraining und Jobvermittlung zusammen.
Doch ohne Moral, Verantwortung und christliche Werte zu bemühen, diese Rechnung, diese Sparsamkeit ist ganz einfach und simpel zu kurz gegriffen. Gefährlich kurz.
Ohne Überbetriebliche Ausbildung: die Mädchen sowie auch ihre späteren Kinder bleiben weiterhin festgebannt in ihren Communities, Thomas und Achmad Sozialhilfeempfänger. Vielleicht ein bisschen Schwarzarbeit mal hier mal dort, sonst ein ewig unzufriedenes, verachtetes Leben lang auf Kosten der Gemeinschaft. Bestenfalls. Wenn sie nicht, gemeinsam mit Marcel, eine kleine Räuberbande bilden, macht kaputt, was euch kaputt macht, wenn man ja eh nichts zu verlieren hat.
Wollen wir das?
Es gibt ja Stimmen, die gerade das behaupten, dass die neue Regierung es bewusst darauf anlegt, vor allem Migrantenkinder in die Kriminalität zu treiben. Um eine Politik der Ausgrenzung zu legitimieren und härtere Gesetze durchbringen zu können.
Doch ist eine solche Perfidie tatsächlich denkbar?