Robert Jungk und die „Künstliche Intelligenz“

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Wie würde der Technik-Warner heute in der Enquete-Kommission des Bundestages auftreten?

(cooppa, Manfred Ronzheimer, 14.07.2018) Am 14. Juli 1994, vor 24 Jahren, starb in Salzburg der Wissenschaftsjournalist und Zukunftsvorbereiter Robert Jungk. Aus diesem Anlass möchte cooppa, das sich in seiner Tradition versteht, nicht nur an die Person in ihrer Zeit erinnern, sondern wir wollen Robert Jungk quasi mit seinem Wissen und Engagement in unsere Gegenwart holen. Genauer gesagt, in die nähere Zukunft.

Real ist, dass im kommenden Herbst im Deutschen Bundestag die neue Enquete-Kommission für Künstliche Intelligenz zusammentritt, die über die Auswirkungen des Digitalisierungsschubs auf die Gesellschaft reflektieren und politische Maßnahmevorschläge unterbreiten soll.

Irreal dagegen ist, dass in diesem Gremium Robert Jungk als kritischer Technikexperte und Vertreter der Zivilgesellschaft auftritt, vielleicht nominiert von der Grünen-Bundestagsfraktion. Immerhin hatte er für die österreichischen Grünen in den 90er-Jahren für das Amt des Bundespräsidenten kandidiert. (Weitere zentrale Daten enthält diese Kurzbiographie des Technikhistorikers Hans Christian Förster.)

Robert Jungk wäre vor allem für sein Wissen um die gesellschaftlichen Auswirkungen von Großtechnologien, bis hin zur Gefährdung der Demokratie, in die Enquete-Kommission berufen worden. Gemeint ist hier die Technologie der Atomkraft, die er in all ihren Facetten – von der Atombombe („Strahlen aus der Asche“) bis zum energiepolitischen Durchsetzung („Der Atomstaat“) – publizistisch begleitet hatte und selbst prominenter Teil des AKW-Widerstandes war. (Am Rande bemerkt: Hans Holzinger von der JBZ arbeitet gerade an Publikationen über den Briefwechsel von Jungk mit Kaoru Ogura, einem wichtigen Zuarbeiter zum Buch „Strahlen aus der Asche.“ Kommt anfangs September.)

Voraussichtlich würde Jungk zwei Gesichtspunkte in das Zentrum seiner Argumentation stellen. Der eine wäre die kritische Technikfolgenabschätzung. Der zweite bezöge sich auf Bürger-Partizipation und Widerstand,

Technikfolgenabschätzung in öffentliche Hand

Jungk könnte etwa  argumentieren, – so wie es in einer gut besuchten Veranstaltung mit dem Berliner Sozialwissenschaftler Thomas Wagner im März 2018 in der Salzburger Robert Jungk- Bibliothek auch real geschehen ist – dass „Digitalisierung nicht per se schlecht sei,  ihre Regulierung aber in öffentliche Hand gehöre. Jungk schildert die Technophantasien der Anhänger Künstlicher Intelligenz von Ray Kurzweil über Nick Bostrom bis Max Tegmark. Sie betreiben Institute wie „The Future of Human Life“ mit einem großen Nahverhältnis zu IT-Unternehmen. Warnungen etwa vor neuen Superwaffen stünden dabei euphorische Zukunftsszenarien über eine „Superintelligenz“ zur technischen Selbstverbesserung des Menschen gegenüber, wie dem Transhumanismus vorschwebt – die „Rückkehr des Schicksals als künstlicher Gott.“

Jungk kritisiert den Ansatz der „technologischen Singularität“. Ein Denken, das Digitalisierung als unausweichliche Entwicklung hinnimmt, der sich der Mensch anpassen müsse, sei demokratiefeindlich. Die Zukunft gehöre in Bürgerhand, daher müsse auch Technikfolgenabschätzung eine öffentliche Angelegenheit sein und nicht die von Großkonzernen. Zudem sollen die Möglichkeiten des Internet für zivilgesellschaftliche und gemeinwohlwohlorientierte Projekte genützt werden, etwa in genossenschaftlichen Digitalunternehmen.“ (Wohlgemerkt: Worte Wagners, aber im Geiste Jungks)

Werkstatt und Reallabor für die Zukunft

Vielleicht kommt es in der Enquete-Kommission auch zu diesem Rede-Beitrags Jungks, in dem er sein wichtigstes Tool der Zukunftsgestaltung, die „Zukunfts-Werkstatt“ erklärt. (Im folgenden aus einem Interview mit dem Pädagogen Olaf-Axel Burow). Die gesamte Kommission sollte sinnvollerweise nach diesem Prinzip arbeiten und sich verständigen.

„Für mich ist die Veränderung der Gesellschaft immer wieder ein Generalthema: Was können wir aus den momentanen Krisensituationen lernen? Wie weit müssen wir die Wirklichkeit verändern, nicht nur der Gesellschaft, auch der Technik, auch der Wirtschaft? Also das Wesentliche ist, daß man in den Zukunftswerkstätten Veränderung als etwas Notwendiges schätzen lernt und vor Veränderungen keine Angst mehr hat. Veränderung bietet Chancen und ist der wirklichkeitsangepaßte Umgang, weil sich die Wirklichkeit ja dramatisch verändert.

Die Auseinandersetzung mit der Entwicklung von Wissenschaft und Technik und vor allem auch den Entwicklungen in der Dritten Welt. Im Angesicht der globalen Weltgesellschaft brauchen wir multikulturelle Zukunftswerkstätten, denn ein Inder wird gewisse Dinge, die wir für selbstverständlich halten, völlig anders sehen; ein Afrikaner wird ganz andere Dinge für wichtig halten. Man kann in Zukunftswerkstätten lernen, das nicht nur als Fremdes zu sehen, sondern als Eigenes draufzupflanzen, etwa wie man Pflanzen kreuzt. Wir müssen unsere Kultur deranthropologisch-zivilisatorischen Verengung überwinden und dazu taugt alles, was zu einem Ausbruch aus diesen als selbstverständlich angenommen Mustern führt.

So meine ich, daß die Gesellschaft keineswegs fertig ist, sondern daß eben die Gesellschaft – und das ist meine größte Sehnsucht – daß diese vielen unterdrückten, nie ins Spiel gekommenen Kräfte der vielen Menschen, die an viel zu frühen Momenten Abschalten, Ausschalten, nur noch Mitmachen und Mitlaufen, daß dieser enorme Schatz, der in Milliarden Menschen steckt, daß der gehoben wird. Das ist meine große Sehnsucht und ich glaube, daß das möglich ist.“

Gestern ist heute – Der Haber/Jungk-Disput zur Ethik der Wissenschaft
Cover zum Buch „Gestern ist heute“ (© Hirzel)

Auch jenseits des aktuellen „Hype“-Themas KI / Digitalisierung lohnt der Rückblick auf die Aussagen und Positionen Robert Jungks zur Orientierung im Zeitalter der Unübersichtlichkeit. Eines der wichtigen Dokumente auch zur Bewertung heutiger Wissenschaft ist der Disput, den Jungk mit dem Wissenschaftskommunikator Heinz Haber führte: „Gestern ist heute“.

Was sagen uns Haber und Jungk heute? „Das erste ist die Verantwortung des Wissenschaftlers. Für beide war das eine ganz wichtige Frage, dass Wissenschaft das, was in der Technik und in der Wissenschaft passiert, zu verantworten hat und sie würden sehr starke Kritik an den sogenannten sozialen Medien üben, weil sie völlig außer Kontrolle geraten sind und die Verantwortung des Wissenschaftlers vor die Hunde gegangen ist“, sagt Wolfram Huncke, der beide gut kannte und als Chefredakteur von „Bild der Wissenschaft“ in den 1970er und 1980er Jahren sehr stark mit dem Thema vertraut ist.

„Die Frage der ethischen Verantwortung der Wissenschaft hat beide sehr geprägt hat, obwohl sie von verschiedenen Ecken an die Sache heran gegangen sind. Haber war immer für die Kernenergie und Jungk war gegen die Kernenergie. Dennoch waren beide sich immer einig, dass die ethische Bewertung wissenschaftlicher Erkenntnisse immer ganz vorne stehen muss. Und das scheint im Augenblick aus deren Blickwinkel ein bisschen abhanden gekommen zu sein.“ Haber und Jungk waren dabei immer dafür, dass der Wissenschaftler als Person die Verantwortung trägt und das auch nach außen trägt. „Daher heben beide die „öffentliche Wissenschaft“ mit großer Leidenschaft vertreten. „Die Wissenschaft verständlich zu machen, als Person dahinter zu stehen, hinter dem, was er forscht und hinter den Ergebnissen und das den bürgern verständlich zu machen“, so Huncke. „Und diese Diffusität, darüber zu steigen, was wahr und was unwahr ist, von verschiedenen Wahrheiten zu sprechen, das war für Haber und Jungk im Sinne des kritischen Rationalismus undenkbar“.

„Heinz Haber vermochte, einer ganzen Generation die Begeisterung für Wissenschaft und Technik zu vermitteln, Robert Jungk erkannte deren Gefahren und dass die Fehlentwicklungen von Wissenschaft und Technik zu unserer zentralen Herausforderung werden, die nur in partizipativer Gestaltung und einem neuen Bewusstsein von allgemeiner Verantwortung gemeistert werden können“, erklärt der Soziologe Franz Nahrada, der in den siebziger Jahren als linker Wissenschaftskritiker aktiv war und seit den neunziger Jahren versucht, eine umfassende Vision für eine grundsätzliche Veränderung der Beziehungen von Stadt-Land, Staat-Bürger, Wirtschaft-Konsument auf Basis der Potentiale der Telekommunikationstechnologie zu formulieren.

„Ein Standpunkt, der beide Impulse aufnimmt, ist wichtiger denn je, gerade weil sich jenseits der verwalteten Wissenschaft ein frisches, zukunftsfähiges Maker-Movement ausbreitet, das zugleich eine Synthese aus neuer, benutzergetriebener Innovationskraft und eine Sensitivität für Nachhaltigkeit und eine Verständigung über Interdependenzen und Auswirkungen auf breiter Front braucht“, sagt Nahrada und verweist auf die Open Source-Bewegung sowie auf das weltweite Transition-Movement, das er in Österreich mit aufbaut, um die Veränderungskraft der Zivilgesellschaft in „globalen Dörfern“ und „Oasen des Wandels“ zu demonstrieren.

Zukunft kann verändert werden

Um den Bogen wieder zu schließen: Bei seinem virtuellen Auftritt im Bundestag würde Robert Jungk – oder vielleicht auch jemand anders aus der Enquete-Kommission – womöglich eines seiner bekanntesten Zitate (aus dem Jahr 1952) aufgreifen, das bei allen Bedrohungen letztlich doch das Potenzial der Hoffnung nach vorne stellt:

„Das Morgen ist schon im Heute vorhanden, aber es maskiert sich noch als harmlos, es tarnt und entlarvt sich hinter dem Gewohnten. Die Zukunft ist keine sauber von der jeweiligen Gegenwart abgelöste Utopie: die Zukunft hat schon begonnen. Aber noch kann sie, wenn rechtzeitig erkannt, verändert werden.“

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Beitragsbild: Robert Jungk bei einer Demonstration gegen das Kernkraftwerk in Temelin 1993 (Foto von Matthias Reichl via JBZ)

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