Der Neoliberalismus ist tot, es lebe „Die Große Transformation“
(cooppa, Ilse Kleinschuster, 16.05.2018) Die Veranstaltung im Festsaal der Arbeiterkammer Wien am 08. Mai 2018 anlässlich der Gründung der Karl Polanyi Society erlebte ich – und mit mir wohl viele andere – als ein Fest der Freude und des Aufbruchs in eine neue Ära der gesellschaftlichen Veränderung.
Andreas Novy (Wirtschaftsuniversität Wien), einer der Proponenten dieser Gründung und jetzt Präsident der Gesellschaft, begrüßte das zahlreich erschienene, junge Publikum – er meinte, es möge als ein symbolisches Zeichen gesehen werden, dass zum selben Termin das „Fest der Freude“ zum „Tag der Befreiung“ am Heldenplatz stattfindet.
Der lange Weg zur Gründung
Der Wunsch steht im Raum, es möge diese Gründung wie die beschleunigte Annäherung an das nahe Ziel am Ende eines Marathons wirken. Eines Befreiungsmarathon, dessen Start in einem kapitalistischen Wirtschaftssystem erfolgte, und in dessen Verlauf jedoch Arbeit, Boden und Geld aus den Marktmechanismen zunehmend ausgeschlossen worden sind – so verstand ich zumindest Markus Marterbauers Worte in seiner Eingangsrede als Abteilungsleiter der Abteilung Wirtschaftswissenschaft und Statistik der Arbeiterkammer Wien. Es gelte jetzt diesen mühevoll genug erscheinenden Weg, den Polanyi zu gehen begonnen hat, einige Schritte weiter zu gehen.
Auch Armin Thurnher (Chefredakteur der Wiener Stadtzeitung „Falter“) war als Festredner vor Ort und durfte aus einem eigenen Artikel zitieren, demzufolge er sich schon vor einiger Zeit für die Ehrung von Karl Polanyi eingesetzt habe. So freue ihn daher jetzt die Gründung dieser Gesellschaft ganz besonders. Das Tempo mit dem dies geschah, sei wohl eine Schimäre gegen das Wohlergehen der Gemeinschaft.
Es gäbe schon eine ganze Reihe von Karl Polanyi Gesellschaften in aller Welt. Die bedeutendste sei wohl jene in Montreal, von dort kam diesen Abend eine Video-Grußbotschaft an das Publikum.
Warum gerade jetzt noch eine Polanyi Gesellschaft?
Diese Frage werde immer wieder gestellt. Die Antwort liege auf der Hand, man sehe sich nur in dieser Welt um. Brigitte Aulenbacher (Johannes Kepler Universität Linz, OÖ) berichtete über die vielfältigen Arbeitsbereiche der Internationalen Karl Polanyi Society in Bezug auf die Zukunft einer krisengeschüttelten, globalen Gesellschaft. Diese sehen ihre Aufgabe nicht nur in der Verbreitung der Idee und der Durchsetzung des „Selbstorganisierten Marktes“ und in der Lösungssuche auf Fragen „Wie kann die Menschheit die industrielle Zivilisation, wie den Klimawandel überleben?“, sondern auch im Finden von Alternativen. Keinen Blaupausen, sondern alternativen Formen des täglichen Zusammenlebens in einer Zeit radikaler gesellschaftlicher Veränderung. Gefragt seien jetzt mehr denn je pluralistische, aber auch kontroversiell geführte Diskussionsplattformen.
Es sollen endlich die vielfältig bereits vorhandenen Analysen und Projekte aus ihren Nischen geholt werden – um damit Gegenbewegungen zu stärken. Sie betont, dies sei ein wesentlicher Aufgabenteil des internationalen Polanyi-Netzwerks.
So werde eben heute nicht mehr nur Werk-Analyse betreffend das Verhältnis von Markt und Gesellschaft weiterbetrieben. Dies wird deutlich, wenn einer der beiden Hauptreferenten des Abends, der Soziologe Klaus Dörre (Friedrich Schiller Universität Jena) in seinem Referat, „Rechtspopulismus – eine Polanyianische Gegenbewegung?“, nicht so sehr auf die „Große Transformation“ eingeht, sondern vielmehr auf seine eigene These vom völkischen Populismus als Bewegung Polanyianischen Typs. Sowohl links- als auch rechtspopulistische Arbeiterbewegungen möchte er als solche Bewegungen bezeichnen – spiegelten doch beide Bewegungen Konflikte von Innen und von Außen, beides seien „Bewegungen gegen die Zumutungen und Zwänge des Marktes“. Dörre schließt daraus eine Ethnisierung der sozialen Frage, hofft aber, es sei der Aufstieg der Neuen Rechten aufzuhalten, insofern als dies eine Erziehungsfrage sei. Es müsse nur gelingen, jene Arbeiter, die sich abgewertet fühlen, symbolisch aufzuwerten – dies würde dann die Bewegung Polanyianischen Typs, die ja weniger ökonomisch als vielmehr völkisch aufgezogen wurde, wieder eindämmen.
Wichtig erscheint hier Klaus Dörre vor allem wissenschaftliche Genauigkeit in der Bestimmung von Bewegungen dieses Typs – der vertiefte Blick in ihre Kriterien. Dies sei seiner Meinung nach eine der Hauptaufgaben für Mitarbeiter in der Internationalen Karl Polanyi Society.
In der Verfolgung solcher Pläne des Verstehens und Formens des Transformationsprozesses im 21. Jahrhundert wird vor allem die Jugend gefragt sein. So will die Polanyi Gesellschaft auch starken Kontakt zu den Universitäten pflegen.
Große Hoffnung in die Jugend
Die Tochter von Karl Polanyi, die bekannte Ökonomin Kari Polanyi-Levitt (McGill University, Montreal, Kanada) sprach zur sozio-ökonomischen Transformation im 21. Jahrhundert. Diese bewundernswert-junggebliebene 95-Jährige erläuterte dem Publikum lebhaft ihre Freude über die Einladung in die Räume der Arbeiterkammer, sie sei der Einladung nicht nur aus persönlicher Erinnerung, sondern auch aufgrund ihrer Wertschätzung dieser einzigartigen Institution gegenüber, nachgekommen.
Sie lobt ihre Vorredner und wiederholt manche ihrer Sätze wie z.B. „moderner Nationalismus sei eine defensive Reaktion auf die Globalisierung“ oder, „Kapitalismus sei wohl das globalisierte Abhängigwerden von Geld“. Heute erschrecke sie die Art, wie Ökonomen die Grenzen immer weiter zu ziehen versuchten. Sie könne sich schwer vorstellen, dass ihr Vater dies je so vorausgesehen habe. Sie setze große Hoffnung in die Jugend und möchte sie hier und jetzt einladen, dieser neuen Gesellschaft beizutreten, sie zu unterstützen, um sie noch lange blühen zu lassen. Sie erzählt von ihrem Vater, vielleicht dem ersten Ökonomen seiner Zeit – er habe nicht nur Volks- bzw. Wirtschaftswissenschaft, sondern daneben noch Philosophie und Biologie studiert -, der auch die ökologische Frage angesprochen habe. Er sei ein Linker gewesen, aber einer, dem es wichtig war Wertvolles zu erhalten.
Bedeutung auch heute
Karl Polanyis Überlegungen zu „Transformation“, „Embedding“,„Fictitious Commodities“ und „Double Movement“ stehen heute im Mittelpunkt intensiver Debatten. Kritik und Zweifel an manchen Voraussagen seiner Konzepte haben dazu beigetragen, seine Themen weiterzuführen, sei es in der Transformationsforschung, den sozialwirtschaftlichen Fächern oder der kulturpolitischen Ökonomie – neue Forschungsfelder, die alle von Polanyi inspiriert sind. So haben sich aufgrund seiner These von „fictitious commodities“ (Preis = Ware) Märkte für Arbeit, Land und Geld, ja selbst für Wissen organisieren lassen und werden heute in Zeiten der Monetarisierung (Ökonomisierung) von allem und jedem oft ad absurdum geführt. Mit dem Ausdruck „double movement“ hat er wohl die Tatsache vorhersehend beschrieben, dass die Gesellschaft zurückschlagen wird (society fights back) – also, immer Widerstand zu erwarten ist.
Der zweite Hauptreferent, Bob Jessop (Prof. of Sociology and Co-Director of the Cultural Political Economy Research Center at Lancaster University, UK) schätzt Polanyis Werk sehr, fragt sich jedoch wie es uns gelingen könnte, Polanyis Prosa in „Poesie“ für eine neue radikale Erzählung zu übersetzen, um so den großen Herausforderungen des 21. Jahrhundert gewappnet zu begegnen:
- Weltmarkt/-Gesellschaft als ultimativer Horizont
- Neoliberalismus Redux
- Haute-Finance 3.0
- Extractivismus 3.0
- Klimawandel
und noch einiges mehr
„Es sei einfacher, sich die Zerstörung des Planeten vorzustellen, als den Sturz des Kapitalismus“ – ein Bild von erodiertem Boden, aus dem wieder Keimlinge sprießen versinnbildlicht den Satz.
Widersprüche wie sie sich uns heute im Kapitalistischen System zeigen, werden also von der Karl Polanyi Society aufgegriffen und bearbeitet. Hoffnung für sozial-ökologische Ökonomie!
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