Wachstum oder Kreislauf?

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Nach der Corona-Krise weiter wirtschaften wie früher? Deutsche Zukunftsberater sind darüber uneins

(cooppa, 16.06.2020, Manfred Ronzheimer) In der ersten Phase der Corona-Krise waren Virologen und Mediziner die wichtigsten wissenschaftlichen Berater, denen die Politik Gehör schenkte, um ihre folgenschweren Maßnahmen abzuwägen. Jetzt, wo es zentral um die Bekämpfung der Wirtschaftskrise nach dem Lockdown-Stillstand geht, melden sich auch die Expert*innen anderer Fachdisziplinen zu Wort. Von Bedeutung ist dabei, ob das Hochfahren der Wirtschaft, aber auch des Bildungssektors, wieder an die früheren Abläufe vor Corona anschließt, oder ob neue Wege beschritten werden.

In Reaktion auf das 130 Mrd Euro schwere Konjunktur- und Zukunftspaket der deutschen Bundesregierung hat das „Hightech-Forum“ jetzt „Innovationspolitische Leitinien“ vorgelegt, deren Befolgung zu einem „neuen Wachstum“ führen sollen. Das Hightech-Forum ist ein Kreis von 21 Wissenschaftler*innen und Unternehmer*innen, die das Bundesforschungs- und das Wirtschaftsministerium bei der Gestaltung ihrer Innovationspolitik berät. Ziel ist dabei die bessere und schnellere Umsetzung von wissenschaftlichen Forschungsergebnissen in die wirtschaftliche Praxis.

Für Reimund Neugebauer. Präsident der Frauhofer-Gesellschaft und Co-Vorsitzender des Hightech-Forums besteht die „historische Chance, mit den Paketen für die Krisenbewältigung eine grundlegende Transformation in Richtung eines neuen und qualitativen Wachstums anzustoßen“. Mit rund 50 Milliarden Euro wird fast die Hälfte des Gesamtpakets in den Jahren 2020 und 2021 in Forschung und Innovation investiert, darunter in Künstliche Intelligenz, Quantencomputing und grüne Wasserstofftechnologie.

Hightech-Forum: Auf künftige Krisen vorbereitet sein

„Die Krise hat gezeigt, wie Deutschland durch Investitionen in Forschung und Infrastrukturen, wie z. B. die Gesundheitsversorgung, seine Bürgerinnen und Bürger schützen kann“, heißt es in dem Leitlinien-Papier. Sie habe aber auch „strukturelle Schwächen und Vulnerabilitäten schonungslos aufgedeckt“. Da auch in Zukunft vergleichbare Groß-Krisen nicht ausgeschlossen werden können, sei es ausgelöst durch einen biologischen oder einen Computer-Virus, gelte es sich zu wappnen. Dies betreffe nicht nur technische Sicherheit und Resilienz, bis hin zu stärkerer Orientierung auf eine „technologische Souveränität“ in nationalem und europäischen Maßstab, sondern umfasse auch den gesellschaftlichen Zusammenhalt.

So wurden nach Auffassung des Hightech-Forums im verordneten Corona-Shutdown „soziale Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten deutlich“. Frauen trügen die Hauptlast der Familienarbeit in der Krise und viele „systemrelevante Berufsgruppen“ litten unter schlechten Arbeitsbedingungen und geringer Entlohnung, stellt das Papier fest. „Für das Gemeinwohl und die Entwicklung der Gesellschaft esse­zielle Bereiche wie Kinderbetreuung, (Hoch-)Schule, Altenpflege oder die Kultur- und Kreativwirtschaft sind für Krisen nicht ausreichend gerüstet“.

Soziale Marktwirtschaft neu denken

Aus diesem Grund sollte nach der Krise „die Chance ergriffen werden, das Konzept der sozialen Marktwirtschaft auf Basis der Krisenerfahrun­gen neu zu denken“. Es würden „Innovationen für moderne Arbeitszeit-, Entlohnungs- und Führungsmodelle“ benötigt. Auch andere Elemente des Konzepts, wie mehr digitale Bildung, stärke Innovationsförderung oder verlässliche Rahmenbedingungen für ein nachhaltiges Wirtschaften, wollen in der Summe dazu beitragen, ein „neues Wachstum“ zu stimulieren. „Neues Wachstum“ ist der Zentralbegriff in den Leitlinien. Das Hightech-Forum versteht darunter „eine positive Entwicklung in Richtung sozialer, wirtschaftlicher und ökologischer Nachhaltigkeit“, wird erläutert. „Neues Wachstum ist qualitativ und orientiert sich an zentralen Werten der Gesellschaft. Neues Wachstum schafft Mehrwert für heutige und zukünftige Generationen.“

Ob die Fortsetzung der Wachstums-Orientierung tatsächlich der richtige Weg aus der Krise ist – oder nicht vielmehr gleich in die nächste, die ökologische Klima-Krise führt, ist in der aktuellen gesellschaftlichen Debatte nicht unumstritten. Auch das Wuppertal-Institut für Klima Umwelt Energie legte eine Bewertung des Konjunktur- und Zukunftspakets vor.

Das Institut, das sich der „Großen Transformation“ verschrieben hat, vermisste zu wenig Kursänderung, die weg vom Wachstumspfad und hin zur Kreislaufprozessen in der Wirtschaft führe.

Wuppertal-Institut für Orientierung auf eine Kreislaufwirtschaft und Bioökonomie

„Obwohl das Konjunkturprogramm mit rund 60 Maßnahmen bereits sehr umfangreich ist, weist es gleichwohl deutliche Lücken auf, die es unbedingt zu schließen gilt“, urteilen die Öko-Experten aus Wuppertal. So spiele das Thema Energieeffizienz in dem Programm „erstaunlicherweise eine eher untergeordnete Rolle“. Dies ist „nicht nachvollziehbar“, da aus vielen Analysen seit langem bekannt sei, „dass gerade Investitionen in Energieeffizienzmaßnahmen mit großen positiven volkswirtschaftlichen Effekten verbunden sind“. Auch die Kreislaufwirtschaft werde im Programm nicht explizit aufgeführt. „Dies verwundert nicht nur aufgrund des grundsätzlich hohen CO2-Minderungspotenzials“, schreibt das Wuppertal-Institut.

Vielmehr habe gerade die COVID-19-Pandemie deutlich gemacht, dass generell „die Wertschöpfungs-, Produktions-, Konsum- und Wirtschaftsstrukturen robuster und weniger verletzlich“ aufgestellt werden müssen. „Eine konsequente Orientierung auf eine Kreislaufwirtschaft und Bioökonomie hilft, weniger Primärressourcen einsetzen zu müssen und damit unabhängiger von globalen Lieferketten und Rohstoffen z. B. Funktionsmetallen zu werden“, betont die Studie des Wuppertal-Instituts. Diese Themen kommen aber im Aktionsprogramm der Regierung garnicht und dem Innovationskonzept des Hightech-Forums nur am Rande vor.

Womöglich muss beim wirtschaftlichen Neustart aus der Corona-Krise noch grundlegender und radikaler als bisher gedacht werden. Das findet jedenfalls eine nennenswerte Schar deutscher Bücherleser, die seit Wochen einen Titel mit genau dieser Botschaft an der Spitze der Beststeller-Liste halten: „Unsere Welt neu denken“ von der Berliner Autorin Maja Göpel.

Das erzählende Sachbuch erschien im Februar, weshalb der Begriff Coronavirus kein einziges Mal auftaucht, und trifft gleichwohl den gesellschaftlichen Nerv der Zeit und die neue Nachdenklichkeit, die im Shutdown bei vielen Menschen Einzug gehalten hat.

Maja Göpel lädt ein, die Welt neu zu denken

Göpel, die im Hauptberuf Wissenschaftlerin ist und früher am Wuppertal-Institut gearbeitet hat, geht der Frage nach, „wie es passieren konnte, dass die Menschheit den Planeten in der Lebensspanne zweier Generationen an den Rand des Kollapses gebracht hat“. Zentraler Treiber ist in ihrer Analyse das herrschende Wachstumsmodell der Ökonomie, das eine globale „Extraktions- und Maximierungsmaschine“ errichtet hat, die Natur nur noch ausbeutet statt mit ihr zu kooperieren. Wie kommen wir aus dem Wettlauf zur Zerstörung der Welt heraus ? „Weiterzumachen wie bisher ist keine Option, weil es zu radikalen und wenig einladenden Konsequenzen führt“, befindet Göpel. Sie sieht die Corona-Krise als Chance für weniger Wachstum, ebenso wie der österreiche Vordenker der Gemeinwohl-Ökonomie, Christian Felber.

Ihre Einladung, die Welt neu zu denken empfiehlt den Blick aus der Zukunft – was uns bevorstehen könnte -, geweitet um eine systemische Perspektive. An ihrer aktuellen Arbeitsstätte, dem Wissenschaftlichen Beirat für Globale Umweltveränderungen (WBGU), einem Regierungs-Thinktank wie das Hightech-Forum, wird dieses Voraus-Denken schon seit Jahren praktiziert. Jetzt ist das gesellschaftliche Interesse für diese Botschaften da. Von Göpels Buch wurde bereits die sechste Auflage gedruckt. (Eine ausführliche Besprechung erscheint demnächst auf cooppa).

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