Kessenich for Planet

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(cooppa, Joerg Altekruse, 22.11.2017)

Kessenich ist ein gemütlicher Stadtteil von Bonn, eingeklemmt zwischen Stadtwald und Bahnlinie, und ich hatte dank großzügiger Gastgeber das Privileg, von Kessenich aus die Weltklimakonferenz Nr. 23 gute 1.000 Meter entfernt mitzuerleben. Jeden Morgen zog ich also durch die kleine Einkaufsstraße Richtung Bahnlinie, begleitet von der spannenden Frage, ob die Schranke wohl geschlossen oder offen ist. Die Wahrscheinlichkeit, an dieser Hauptverkehrsader rheinaufwärts auf einen Zug zu treffen, ist erfahrungsgemäß sehr hoch. Oft war die Schranke also unten, und manchmal dauerte es drei Züge, bis sie wieder öffnete. Zeit genug also, über die Klimakonferenz nachzudenken.

Auch wenn Bonn zum ersten Mal Schauplatz einer solchen Konferenz war, so treffen doch schon seit 25 Jahren bis zu 25.000 Verhandlungsführer, Mitarbeiter, Minister, Journalisten, und einige Vertreter der Zivilgesellschaft (das sind wir) in diesem jährlichen Ritual aufeinander. Zum ersten Mal fand die Konferenz in Bonn, dem Sitz des UNO-Klimasekretariats statt, weil die gastgebenden Fidschi-Inseln, die vom Untergang durch steigende Meeresspiegel bedroht sind, nicht genug Platz haben für so viele Menschen. In Bonn hingegen war von den vielen Menschen kaum etwas zu sehen und zu hören. Sie verschwanden in ihren Verhandlungszelten auf den Bonner Rheinwiesen und kamen selten vor dem Abendcocktail wieder heraus. Einzig die Hotelpreise sollen durch sie auf schwindelerregendes Niveau katapultiert worden sein.

Ich war als Vertreter von youth4planet e.V. gekommen, einer sogenannten NGO bzw. Nichtregierungsorganisation, die der Minderheit der unter 25-jährigen Gehör verschaffen will, die zwar milliardenfach auf diesem Planeten leben, aber bei solchen Gelegenheiten, bei denen es um ihre Zukunft geht, aus unerfindlichen Gründen wenig mitzureden haben. Immerhin trat bei der Eröffnungsfeier ein Bonner Kinderchor in Erscheinung.

Kostenlose Leihfahrräder für die Teilnehmer der Klimakonferenz COP23 in Bonn, die angeblich die grünste aller Konferenzen bisher war.

Verhandelt wurde nicht weniger als die Frage, wie genau die Folgen von 150 Jahren Industrialisierung, von der wir in Deutschland weidlich profitiert haben und noch immer profitieren, für die Lebensräume auf der Erde so eingegrenzt werden können, dass wir als Spezies dort überleben können, ohne uns gegenseitig auszurotten. Hier kommen die Vertreter aller Länder zusammen, von Demokratien europäischer Prägung genauso wie von Diktaturen, Monarchien und Stammesgesellschaften. Unter der Überschrift Klima und Erderwärmung geht es also um die Frage, wie wir zusammen auf diesem Planeten leben wollen. Spannend ist das auch deswegen, weil durch die Globalisierung und die digitale Kommunikation gerade so etwas wie ein gemeinsames Weltbewusstsein entsteht, also die Erkenntnis, dass jeder Mensch auf dieser Erde mit jedem anderen verbunden ist und wir uns einen begrenzten Lebensraum teilen müssen.

Die alljährlichen Treffen bekommen also mehr und mehr den Charakter eines erweiterten Familienrituals, wo ordentlich um Details wie Zugang zu den Futtertöpfen (auf diesem Niveau Ressourcen wie Rohstoffe oder Wasser, Luft und Boden) oder die Erziehung der Kinder (autoritär, egalitär oder gar nicht) gestritten wird, auch wenn klar ist, dass man in einer unauflösbaren Beziehung steckt. Daher sind solche Konferenzen extrem wichtig, um den Gesprächsfaden nicht abreißen zu lassen. Diesmal ging es immerhin darum, endlich die Konsequenzen aus der Konferenz in Paris vor zwei Jahren zu ziehen, nämlich der Feststellung der Tatsache, dass sich die Erde gefährlich aufheizt, Taten folgen zu lassen, die diesen Vorgang vielleicht noch abschwächen könnten. Als Zwischenschritt dahin hatte man sich ein Jahr zuvor auf die sogenannten SDG, die Sustainable Development Goals bzw. nachhaltigen Entwicklungsziele geeinigt. Unter siebzehn Überschriften verbergen sich so unterschiedliche Themen wie das Recht auf Nahrung und Wasser, Reinhaltung der Luft oder der Zugang zu einer Bildung, die mindestens das Verstehen der SDGs für jeden ermöglicht. Selbstverständlichkeiten, sollte man meinen, aber aus Sicht eines Potentaten oder Diktators mitunter sehr bedrohlich, z.B. wenn sich seine Macht auf die Unbildung und die Überlebensängste seiner Untertanen stützt.

An einem der Tage, an dem sich die Bahnschranke schon nach wenigen Minuten wieder hob, weil nur ein Vorortzug vorbeifuhr, konnte ich die Widersprüche bereits auf der nächsten großen Kreuzung hautnah miterleben. Dort veranstalteten Bürger des waldreichen zentralafrikanischen Gabun unter den wachsamen Augen der deutschen Polizei den ganzen Tag lang ein Happening mit Trommeln und Gesang, um ihren Ex-Regierungschef daran zu erinnern, dass er nach seiner Abwahl gefälligst abdanken sollte, statt sich mit brutalsten Methoden an der Macht zu halten. Zwei Strassenzüge weiter lud derselbe die Mitglieder der afrikanischen Union zum Empfang ins Hotel Marriott, doch statt der erwarteten 130 Gäste fand sich eine Handvoll hauptsächlich freier Mitarbeiter des Neudiktators ein, der seine Mitbürger einfach nicht an dem reichlich vor der Küste sprudelnden Erdöl teilhaben lassen will. Da solch offensichtlich archaisches Benehmen auch in Afrika nicht mehr zum guten Ton gehört, musste das üppige Buffett nach wenigen Stunden fast vollständig in den Müll entsorgt werden.

Der weltweite Stimmungsumschwung von knallharter Abgrenzung von Interessen hin zu kooperativer Zusammenarbeit war auch schon in Bonn zu spüren. Zwar war diese Konferenz immer noch durch starke Trennung zwischen zugelassenen Offiziellen (Vertretern von Nationalstaaten, Großkonzernen und Großmedien), und den Ausgesperrten, die gerne mitreden würden, aber nicht dürfen, geprägt. So bekamen die Vertreter von Klein- und Onlinemedien oder der Zivilgesellschaft weder Zugang zur Bula- oder Bonn-Zone der Verhandlungen noch durften sie sich kostenlos ein Fahrrad ausleihen. Doch gab es erste Lichtblicke: Mitten zwischen den Verhandlungsorten standen eine kleine Stadt aus sechs aufblasbaren riesigen Iglus und der Climate Planet, eine begehbare 24 Meter hohe blaue Erdkugel mit weißen Wölkchen.

Die Iglus hatten die Anti-Trump-Rebellen der „We are still in“ -Bewegung aus den USA unter dem Namen „Climate Action Center“ aufgestellt. Als Vertreter von über 450 Städten, Bundesstaaten, aber auch Universitäten und Großkonzernen wie Apple wollten sie damit signalisieren, dass bei weitem nicht alle US-Amerikaner die Atmosphäre des Planeten weiterhin ungebremst mit Abgasen zu ihrem Vorteil beladen wollen. Von ihrer Wirtschaftskraft her seien sie der drittgrößte Wirtschaftsraum der Welt, verkündeten sie stolz. Zu ihrem einnehmenden Verhalten passte, dass auch ich als Vertreter einer kleinen NGO dort gern gesehen war und mich mit dem Umweltminister von Kalifornien genauso unterhalten konnte wie mit der Klimaberaterin einer US-Gouverneurin oder einer Studentengruppe der Eliteuniversität Princeton.

Richtig gemütlich wurde es aber erst im Klima-Planeten einer dänischen Stiftung aus Aarhus. Jede Stunde durften dreihundert Bonner oder angereiste Bürger kostenlos in dem Inneren der Mutter Erde Platz nehmen. Mitten im Zentrum eine leuchtende riesige Erdkugel, der Blaue Planet, dessen Bild ein erst kürzlich in Betrieb genommener Satellit der NASA live einspielt. Die Inbetriebnahme der erdfernen Beobachtungsplattform war fast zwei Jahrzehnte lang von dubiosen Mächten verhindert worden, wie Al Gore, der Ex-Vizepräsident der USA, in seinem neuen Film erzählt. Jetzt kann diese Außenperspektive, von der zum ersten Mal die vom Mond zurückkehrenden Astronauten berichteten, ihre volle magische Macht entfalten. In einem Film wird die Geschichte unserer Erde seit ihrer Entstehung aus einer kosmischen Staubwolke bis hin zu ihrer Rolle als Heimatplanet der Menschheit erzählt. Schweigen. Klatschen. Berührend.

Wer sich noch tiefer auf die entscheidenden Themen einlassen wollte, konnte anschließend in dem überdachten Ring um den Riesenglobus herumspazieren und sich über die nachhaltigen Entwicklungsziele und ihre Umsetzung genauer informieren. Mitarbeiter des deutschen Bundesministeriums für Zusammenarbeit und Entwicklung, das auch die Aufstellung des Climate Planet finanzierte, hatten hier in mitunter bewegenden Bildern (zum Beispiel aus der Perspektive eines etwa zehnjährigen Mädchen aus einem syrischen Flüchtlingslager im Libanon) zusammentragen, wie sie sich mögliche Ergebnisse der Bonner Konferenz vorstellen.

Wie gesagt, der Anblick der Erde hat eine magische Wirkung. Auf einer Sonderveranstaltung seines Ministeriums mit Stargast und Ex-UNEP-Direktor Klaus Töpfer verkündete Staatssekretär Friedrich Kitschelt den überraschten Zuhörern unter dem Globus, dass nur eine Revolution, mit der die überkommenen Wirtschafts- und Finanzsysteme hinweggefegt werden, diesen Planeten noch bewohnbar halten könne.

Einige Tage später durfte ich an diesem grandiosen Ort bei einer Veranstaltung der Hamburger Klimawoche mit Prof. Mojib Latif und einem Vertreter der deutschen Meeresstiftung endlich selbst zeigen, wie sich Kinder und Jugendliche sich mithilfe von youth4planet die Weltrettung vorstellen. Jugendliche aus Indonesien und Australien erklären sich in Filmbildern auf dem schmelzenden Eisschild Grönlands selbstbewußt zu Akteuren des Wandels, 12-jährige Kinder aus einer Hamburger Schule beschreiben in einem starken selbst komponierten Rapvideo ihre Kampagne zur Abschaffung von sinnlosem Plastikmüll in der Schule und anderswo, und ein 16-jähriger mit bemalten Gesicht aus dem Amazonas-Regenwald schliesst mit einem bewegenden Lied an einen Baum ab.

Nach der Vorführung sprach mich eine junge Frau an, Vertreterin einer Stiftung in Südindien, und schlug eine Zusammenarbeit mit youth4planet vor, weil sie dort mit tausenden von Jugendlichen an Bildungs- und Bauprojekten für die Zukunft arbeiten und eine Vernetzung mit anderen jungen Menschen gut gebrauchen können.

Vor dem Hintergrund des leuchtenden Erdballs erzählte ich ihr über meine große Vision: Wie wäre es, mit diesem Klima-Planeten und Youth4planet von Stadt zu Stadt zu ziehen und die Kinder und jungen Menschen dieser Welt ihr Zusammenleben auf dieser Welt neu erfinden zu lassen, indem sie mit ihren Mobiltelefonen gemeinsam kleine Filme über Wasser und Erde, Hoffnung und Liebe, Gerechtigkeit und vorausschauende Planung im Sinne aller Menschen machen und miteinander weltweit austauschen. Vielleicht, und das wäre die Hoffnung, werden die vielen Ideen der jungen Menschen dann aufgegriffen und genutzt und rechtzeitig effektive Maßnahmen eingeleitet, z.B. um das schlichte Verbrennen von Kohle und Erdöl überflüssig zu machen und trotzdem ein gutes Leben für alle zu ermöglichen. Die Wissenschaftler jedenfalls, die für uns die Fieberkurven der Erde genau beobachten, mahnen, sofort damit anzufangen, denn die Erde warte nicht, bis wir uns alle einig sind.

Und die Weltklimakonferenz? Es gebe viele Fortschritte, war zu hören, und dann wurden die Diskussionen auf die Folgekonferenz COP24 vertagt, im polnischen Kattowice im kommenden Jahr. Und in Kessenich? Dort sammelte abends die Sperrmüllabfuhr überflüssig gewordene Dinge am Strassenrand ein. Dann starteten in der kleinen Einkaufsstrasse die Vorbereitungen für die Weihnachtsdekoration, um die Kessenicher zu ermuntern, zum Jahresende noch besonders viele neue Dinge zu erwerben. Business as usual, aber wie lange noch?

 

Über den Autor
Joerg Altekruse aus Hamburg ist Filmemacher und Produzent („Abenteuer Klima“ „Bolivars Traum“, „Free Speech Fear Free“) und Mitbegründer von Youth4planet, einer digitalen Lern- und Aktionsplattform für alle, die etwas für unsere Erde tun wollen.

T: 01795262722
Rutschbahn 17
20146 Hamburg

Ein Gedanke zu „Kessenich for Planet

  • 30. November 2017 um 15:40
    Permalink

    Pah, bisher hat mich noch kein Bericht über Bonn so beeindruckt! Gibt es Filme von Joerg Altekruse auch auf youtube? Ich schätze mich glücklich, mit so einem Kommentator zusammen in einer News-Cooperative schreiben zu dürfen!

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